Das Amulett der Macht
fragte Omar.
»Was ist mit Hassam?«, wollte Lara wissen.
»Er begräbt das Pferd.«
»Er hebt ein Grab für das Pferd aus?«, fragte sie ungläubig.
»Nein«, sagte Gaafar. »Er hat das Pferd nur bewegt, und jetzt bedeckt er es mit Sand.«
»Es bewegt?«, wiederholte sie stirnrunzelnd. »Es liegt doch noch genau dort, wo es gestürzt ist.«
»Er hat es so gedreht, dass es gen Mekka schaut«, erklärte Gaafar. »Hassam glaubt, dass Pferde ebenso eine Seele haben wie Menschen. Alle rechtschaffenen Moslems möchten mit dem Gesicht nach Mekka gewandt begraben werden. Hassam bestraft die Seele dieses Mannes, indem er den Leichnam von Mekka abwendet, aber er sieht keinen Grund, auch das Pferd zu bestrafen – oder es den Geiern zu überlassen.«
»Geht diese Pferdeliebe nicht ein bisschen zu weit?«, fragte Lara.
»Wollte der Mann Sie töten?«, fragte Gaafar.
»Ja.«
»Und das Pferd auch?«
»Schon gut«, erwiderte Lara. »Sie mögen ja Recht haben.«
»Er wird auch die anderen vier Männer begraben und dann nachkommen«, sagte Omar.
»Wird er die anderen auch so begraben, dass sie von Mekka abgewandt sind?«, wollte sie wissen.
»Sie waren keine ehrenwerten Männer«, sagte Omar missbilligend. »Aber Hassam ist ein guter Moslem, und er wird ihre Seelen nicht zwingen, ewig umherzuwandern. Er wird sie gen Mekka ausrichten.«
»Dann glaubt er also offensichtlich, dass es eine schlimmere Sünde ist, ihn dazu zu bringen, ein Pferd zu töten, als ihn zu zwingen, einen Menschen zu erschießen?«
»Die Männer waren Feinde, und sie wollten uns umbringen. Das Pferd traf keine Schuld.« Omar seufzte. »Pferde werden in Unschuld geboren. Nur Menschen sind zur Schuld fähig.«
Hassam trottete durch den Sand davon. Mit dem letzten Blick, den sie auf ihn warf, als sie zum Nil zurückritten, sah sie, wie er jeden der Toten so drehte, dass er nach Mekka schaute, bevor er mit bloßen Händen flache Gräber in den Sand scharrte.
»Wird er uns denn finden?«, fragte sie.
»Ich weiß, es scheint, als könnten nur unsere Feinde uns finden«, sagte Omar. »Aber Hassam wird bei Einbruch der Nacht wieder bei uns sein.«
»Diese Gräber auszuheben sollte doch nicht so lange dauern«, sagte Lara. »Warum helfen wir ihm nicht oder warten wenigstens auf ihn?«
»Er wird bei Einbruch der Nacht wieder bei uns sein«, wiederholte Omar.
»Warum nicht jetzt?«
»Weil er ein stolzer Mann ist und nicht will, dass Sie ihn weinen sehen.«
»Er hatte keine andere Wahl«, sagte Lara. »Sonst wäre der Mann geflohen und mit Verstärkung zurückgekommen.«
»Das weiß ich«, sagte Omar. »Und Hassam weiß es auch.«
»Wenn es dann also nicht seine Schuld war, warum …?«
»Weil das Pferd ebenfalls tot ist.«
Sie schwieg für einen langen Moment.
»Woran denken Sie, Lara Croft?«, fragte Omar schließlich.
»Dass ich auf schlechtere Gefährten hätte treffen können«, antwortete sie.
17
Zwei Tage später erreichten sie Dongola und schlugen einen weiten Bogen darum, und dasselbe taten sie, als sie drei Tage darauf nach Ed Debba kamen. Den Kamelen mangelte es nie an Futter. Innerhalb von ein, zwei Meilen beiderseits des Nils grünte und wuchs alles, und der Fluss versorgte sie mit Wasser.
»Es überrascht mich, dass Sie noch nicht krank geworden sind«, merkte Omar an, während sie Ed Debba weit hinter sich ließen.
»Ich war krank, als wir uns begegneten«, antwortete Lara. »Jetzt bin ich wieder ganz die Alte.«
»Ich meine wegen des Wassers.«
Sie lachte. »Ich war in meinem Leben schon an so vielen dreckigen Orten und habe so ekelhaftes Wasser getrunken, dass mein Magen wahrscheinlich der Meinung ist, das Nilwasser sei das beste und sauberste, das ich ihm je gegeben habe.«
»Ich vergesse es dauernd«, sagte Omar. »Sie sind keine gewöhnliche Engländerin. Sie sind Lara Croft.«
»Unterschätzen Sie die Engländerinnen nicht«, sagte sie. »Die erste Elizabeth war ein ziemlich zäher alter Vogel, Victoria regierte die Welt, und Maggie Thatcher hätte sie zurückerobern können, wenn ihr danach gewesen wäre.«
»Ich wollte niemanden beleidigen«, sagte Omar rasch.
»Schon gut.«
»Haben Sie sich schon Gedanken über das Amulett gemacht?«
»Natürlich. Ehrlich gesagt und ganz unter uns, ich wünschte, ich hätte nie davon gehört.«
»Das war nicht ganz die Art von Gedanken, die ich meinte«, sagte Omar.
»Schon klar«, sagte Lara. »Ich weiß noch nicht genug, um mir ernsthaft überlegen zu
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