Das Amulett der Macht
können, wo ich danach suchen soll. Ich war schon einmal in Khartoum, aber es ist eine sehr große und sehr alte Stadt. Chinese Gordon könnte es überall versteckt haben.«
»Chinese?«, wiederholte Omar. »Sie irren sich. General Gordon war ein Brite.«
»Es war sein Spitzname«, erklärte sie. »Er bekam ihn von der Presse, nachdem er eine Reihe erfolgreicher Feldzüge in China angeführt hatte. Wie auch immer, er ist der Schlüssel zum Amulett. Colonel Stewart war offenbar aus einem anderen Grund in Edfu, und so blieb das Amulett also bei Gordon. Ich muss mehr über ihn in Erfahrung bringen, sehen, wo er gelebt und gearbeitet hat, seine Aufzeichnungen lesen, Orte in der Stadt aufsuchen, wo auch er war. Kurzum, ich muss Gordon werden. Ich muss lernen zu denken, wie er dachte – und wenn ich das kann, dann weiß ich, wo ich das Amulett verstecken würde, und das wiederum heißt, ich weiß dann, wo er es versteckt hat.«
»Und Sie werden all Ihr Können und Ihre Erfahrung aufbieten«, sagte Omar.
»Ich weiß nicht, wie viel mir meine Erfahrung dabei nützen wird.«
»Ich verstehe nicht. Sie haben viele verlorene Schätze gefunden. Das ist weithin bekannt.«
»Das ist nicht dasselbe«, sagte sie. »Alte Artefakte findet man, indem man alte Völker studiert – aber oft gingen die Artefakte nicht verloren, weil sie versteckt wurden, sondern weil das entsprechende Volk nicht mehr existiert. Deshalb studiert man die Geschichte des Volkes, seine Kultur, um herauszufinden, wo man graben muss, wo sie ihre kostbarsten Schätze verbargen.«
Sie seufzte tief. »Aber darum geht es hier nicht. Hier geht es um einen Mann, der vor mehr als hundert Jahren lebte, der als Offizier in der britischen Armee diente, der wusste, dass Hunderte, vielleicht sogar Tausende von Menschen nach dem Amulett suchen würden, sobald Khartoum fiel – und er wollte nicht, dass sie es fanden.« Sie sah Omar an. »Sehen Sie den Unterschied? Es machte sich niemand auf, um ein Artefakt wie den Rosetta Stone zu verstecken. Er ging in den Nebeln der Zeit verloren. Bei dem Amulett ist das nicht der Fall. Gordon versteckte es ganz bewusst, und ich muss herausfinden, wo, und deshalb muss ich genau wissen, wie sein Verstand arbeitete. Es ist nicht viel, aber es ist alles, was ich habe. Wenn ich wetten müsste, würde ich mein Geld darauf setzen, dass Kevin es findet, nicht ich. Er ist der Gordon-Kenner.«
»Wenn ich mein Geld auf Kevin Mason setzen müsste anstatt auf Sie, wären wir alle vier vor fünf Tagen gestorben«, sagte Omar, womit er an den Zwischenfall mit den fünf bewaffneten Reitern erinnerte. »Wir haben mehr Vertrauen in Sie als Sie selbst.«
»Ich bin noch nie von Selbstzweifeln geplagt worden«, sagte Lara. »Aber Sie müssen verstehen, dass Sie von mir verlangen, eine hundert Jahre alte Stecknadel in einem Heuhaufen zu finden, der die Größe eines Drittels von Europa hat. Das ist eine ziemlich einschüchternde Herausforderung.«
»Wenn es einfach wäre, bräuchten wir Ihre Fachkenntnisse nicht«, erwiderte Omar. »Deshalb frage ich noch einmal: Was denken Sie über das Amulett?«
»Dass es sehr gut versteckt ist.«
»Kommen Sie«, sagte Omar. »Sie kannten General Gordons Spitznamen. Er ist Ihnen nicht völlig fremd. Zweifellos haben Sie über seine Feldzüge gelesen, vielleicht sogar eine Biografie über ihn. Sie können doch gewiss eine Vermutung anstellen.«
»Seit 1885 gibt es Leute, die Vermutungen anstellen«, sagte Lara, »und das Amulett ist noch immer verschwunden.« Sie schwieg kurz. »Wissen Sie«, meinte sie, »es besteht auch die Möglichkeit, dass er es zerstört hat.«
»Er konnte es nicht zerstören.«
»Was macht Sie da so sicher?«
»Es ist ein magisches Amulett. Es kann nur durch Magie zerstört werden«, sagte Omar mit unumstößlicher Überzeugung.
»Dieser Zauber, den Sie erwähnten, der, über den Abdul sagte, er sei ein Märchen?«
Omar nickte. »General Gordon verfügte nicht über diesen Zauber.«
»Dann hat er es vielleicht in den Nil geworfen.«
»Nein«, sagte Omar bestimmt. »Der Lauf des Nils hat sich viele Male geändert. Dürre, Erdbeben, Verschlammung – all das hätte seinen Lauf ändern und das Amulett im Flussbett freilegen können.«
»Aber hätte Gordon das ahnen können?«, fragte Lara.
»Wenn nicht und wenn er vorgehabt hätte, das Amulett in den Nil zu werfen, hätte er sicher gefragt«, sagte Omar. »Natürlich nicht so augenfällig. Er hätte keinen seiner Berater
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