Das Amulett der Macht
erwartet.
Das Buch unter den Arm geklemmt, ging sie zu dem Ausgang, den sie schon am Nachmittag benutzt hatte, und drückte die Klinke. Es war, wie sie es sich gedacht hatte: Die Tür war von außen verschlossen, aber nicht von innen. Einen Augenblick später befand sie sich wieder in der Gasse und machte sich auf den Rückweg zum Hotel Arak. Aber noch ehe sie ein Dutzend Schritte getan hatte, wurde ihr der Weg von einem leuchtenden Skelett versperrt – das Knochengerüst von etwas, das von aufrechter Körperhaltung war, aber nie und nimmer mit einem Menschen oder auch nur einem Primaten verwechselt werden konnte.
Es streckte eine knöcherne Hand aus, um ihr das Buch wegzunehmen. Lara wich zurück.
Na schön, dachte sie. Das Amulett will, dass ich das lese, also wurdest du nicht von ihm hergeschickt. Das heißt, du kommst entweder von den Mahdisten oder den Anti-Mahdisten, und deren Magie ist nicht so stark wie das Amulett. Hoffe ich jedenfalls.
Die Hand streckte sich abermals nach ihr aus, und diesmal packte Lara sie – und zu ihrer gelinden Überraschung war die Hand stofflich, nicht nur eine Illusion. Sie bog einen der Finger zurück. Er brach ab, aber das Skelett schien es nicht einmal zu bemerken.
Sein Kiefer bewegte sich, und obwohl es keine Zunge hatte, keinen Kehlkopf, nichts, was einen Laut hervorbringen konnte, schienen ihm die Worte » Ich will! « von den nicht vorhandenen Lippen zu kommen.
»Man kann nicht immer haben, was man will!«, sagte Lara und wich einen weiteren Schritt nach hinten, während ihr Blick die Gasse durchforstete. Endlich fand sie, wonach sie suchte – eine metallene Mülltonne, eine von mehreren. Sie nahm den Deckel ab und benutzte ihn wie ein Krieger seinen Schild, hielt ihn vor sich und drang auf das Skelett ein.
Die Knochen zerbarsten, und das Gerippe brach zusammen, aber dort, wo jeder einzelne Knochen hinfiel, befand sich jetzt ein kleiner, knurrender, bösartiger Hund. Der Erste stürzte sich auf Laras Fußknöchel, und sie trat ihn wie einen Ball davon. Bevor er zu Boden fallen konnte, sprossen ihm Flügel, und er verwandelte sich in eine schwarze Krähe und flog, vor Wut krächzend, davon.
Dann war sie zwischen ihnen, trat einige, packte andere am Nacken, hob sie hoch und schleuderte sie von sich, und nach wieder anderen schlug sie mit ihrem Schild. Jedes Mal, wenn sie traf, verwandelte sich der jeweilige Hund in eine Krähe, die geräuschvoll davonflatterte.
Schließlich war nur noch einer der kleinen Hunde übrig.
»Sag deinem Schöpfer, dass ich mich nicht so schnell fürchte«, rief Lara, während sie auf das Tier zuging.
Plötzlich veränderte sich das Gebaren des Hundes. Er drehte sich um, zog den Schwanz ein und rannte davon, jaulend wie ein verängstigter Welpe. Lara blieb zurück und überlegte, ob der Magier aufgegeben oder ob sich ein echter Hund versehentlich dem Rudel seiner widernatürlichen Artgenossen angeschlossen hatte.
Sie hielt das Buch hoch, um dem, was sie zur Bibliothek geführt hatte, zu zeigen, dass sie es noch besaß.
»Ich hoffe, du bist zufrieden«, sagte sie in die dunkle, leere Nacht.
Das seufzende Wispern einer Brise war die einzige Antwort, die sie erhielt.
23
Es klopfte an Laras Tür.
»Bist du wach?«, fragte Masons Stimme.
»Augenblick«, sagte Lara und erhob sich von der Couch, auf der sie beim Lesen des Buches eingeschlafen war. Sie ging zur Tür und öffnete.
»Es ist drei Uhr nachmittags«, sagte Mason. »Wolltest du den ganzen Tag verschlafen?«
»Ich war die ganze Nacht auf und habe gelesen«, sagte sie. »Warst du schon unterwegs?«
»Ja«, erwiderte Mason. »Ich habe mir eine kleine Beretta, Kaliber .22, besorgt. Steckt in meinem Gürtel.«
»Wenn du damit auf jemanden schießt, machst du ihn nur wütend«, sagte Lara. »Warum hast du dir keine AK-47 geholt? Die kannst du in fast jeder Gasse dieser Stadt kaufen.«
»Weil ich die nicht unter meiner Jacke verstecken könnte«, gestand er unbehaglich ein.
»Wir wollen uns ja auch nicht auf eine Schießerei mit einer Million Mahdisten einlassen«, sagte sie. »Der einzige Sinn und Zweck, eine Waffe zu haben, ist der, andere abzuschrecken oder sie dazu zu bringen, über die Konsequenzen nachzudenken, sollten sie auf uns schießen. Wenn sie die Waffe aber nicht bemerken können, kann sie kaum als Abschreckungsmittel dienen.«
»Das sehe ich anders«, sagte Mason. »Ich habe kein Interesse an tragbaren Abschreckungsmitteln. Der einzige Zweck einer
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