Das Amulett der Pilgerin - Roman
trat sie mit aller Kraft zu und traf diesmal seinen Kopf. Es gab einen unguten Knacklaut, und der Mann fiel dumpf zu Boden. Als Viviana endlich auf den Hof kam, waren von den drei Pferden zwei nicht mehr da. Sie konnte in der Entfernung die Staubwolke der Reiter auf der Straße sehen. Kurz entschlossen machte sie das dritte Pferd los, schwang sich in den Sattel und nahm die Verfolgung auf.
Auf Julians Stirn hatte sich eine Falte gebildet. Wieder blickte er auf das Tor, durch das Viviana vor ein paar Minuten verschwunden war. Was trieb sie so lange? Unruhe beschlich ihn. Er stand auf und ging zum Stallgebäude hinüber. Neben dem Eingang war der Stalljunge damit beschäftigt, einen Halfter zu flicken. Julian warf ihm eine kleine Münze zu.
»Sattel unsere Pferde, wir wollen aufbrechen.«
Der Junge sprang eilfertig auf. Julian betrat den großen Holzbau. Es war niemand zu sehen, die Knechte waren mit der Heuernte beschäftigt und die meisten Pferdeverschläge waren leer.
»Viviana?«
Auf der gegenüberliegenden Seite des Mittelganges vor dem hinteren Tor lag etwas Großes auf der Erde. Es sah aus wie ein Mensch! Mit schnellen Schritten war Julian an der Stelle. Ein Blick auf den Mann sagte ihm, dass er tot war. Der Winkel seines Kopfes zu seinen Schultern ließ darauf schließen, dass das Genick gebrochen war. Außerdem war der Boden unter ihm rot verfärbt. Was, zum Teufel, war hier los? Da fiel Julians Blick auf das blutige Messer, das in dem Pfosten steckte. Er kannte den Dolch, er hatte einmal ihm gehört. Julian rannte auf den Hof und blickte sich um. Er glaubte am Horizont einen Reiter zu erkennen. Verdammt, Viviana war abgehauen! Sie hatte den Mann ermordet und sein Pferd gestohlen. Wut schwoll in Julian an wie ein Vulkan. Er rannte durch den Stall zurück auf die Vorderseite. Der Stalljunge hatte bereits ihr Gepäck geholt und gerade eines der Pferde aufgezäumt. Julian schnappte sich seinen Bogen, riss dem überraschten Burschen die Zügel aus der Hand und galoppierte auch schon vom Hof.
Wie konnte sie es wagen? Wie konnte sie es tatsächlich wagen und einfach abhauen? Sie musste ihn für einen unfähigen Trottel halten, wenn sie glaubte, dass er sie nicht einholen würde, dass er sie nicht bis an das Ende der Welt verfolgen würde. Julian war so wütend, wie er es lange nicht mehr gewesen war. Warum hatte sie den Mann umbringen müssen? Nur um sein Pferd zu stehlen? Sie machte vor nichts halt, sie war völlig skrupellos. Wenn er sie erwischte, dann gnade ihr Gott.
Die Straße, die sich zunächst ihren Weg völlig gerade durch die Landschaft gebahnt hatte, gabelte sich. Julian war diesen Postweg schon einmal geritten und wusste, dass die rechte Abzweigung einen weiten Bogen schlug, um dann nach etwa zwei Meilen wieder auf die linke Abzweigung zu stoßen. Sollte Viviana sich rechts gehalten haben, würde er sowieso wieder auf sie treffen. Julian trieb sein Pferd nach links und folgte der gewundenen Straße in scharfem Galopp. Tatsächlich war wenig später vor ihm ein Pferd zu erkennen. Er verlangsamte sein Tempo und legte einen Pfeil in den Bogen. Das Pferd stand auf der Straße, und er sah, wie Viviana sich über den rechten Vorderlauf des Tieres beugte und den Huf untersuchte. Julian lächelte grimmig. Das Tier musste sich einen Dorn oder einen Stein in den Huf getreten haben, und schon war ihre Flucht vereitelt worden. So schnell konnte das Glück einen verlassen. Das Geräusch der Hufe ließ Viviana aufblicken. Julian legte den Bogen an.
»Zeig mir deine Hände und bleib ruhig stehen!« Er wusste, dass sie schnell mit dem Messer war, und möglicherweise hatte sie sich inzwischen noch mehr Dolche zugelegt. Er wollte kein Risiko eingehen.
»Was soll das, Julian?«, fragte sie ungeduldig.
»Dir ist schon klar, dass ich Anweisungen habe, dich zu erschießen, solltest du versuchen zu fliehen.«
»Ich fliehe nicht.«
»Nein? Es sieht aber sehr danach aus. Immerhin liegt da ein toter Mann im Stall der Poststation, und wenn ich nicht irre, ist dies sein Pferd. Ist es sein Pferd?«
»Ja, das ist sein Pferd.«
»Und du hast ihn getötet?«
»Allerdings habe ich das. Er hat mich angegriffen.«
»Weil du ihm sein Pferd wegnehmen wolltest?«
»Nein, verdammt, natürlich nicht deshalb. Du glaubst doch wohl nicht, dass ich jemanden ermorden muss, um mir einen lahmen Gaul wie diesen zu besorgen!«
Viviana stieg in den Sattel.
»Ich habe jetzt keine Zeit, dir das alles zu erklären, wenn du so
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