Das Amulett der Seelentropfen (Seelenseher-Trilogie) (German Edition)
Geräusche aus dem Erdgeschoss. Als ich nichts hörte, wechselte ich schnell in die Seelensicht. Die zwei verbliebenen Jäger hatten ihre Posten nicht verlassen. Entweder hatten sie die dumpfen Aufschläge nicht gehört oder sie schöpften ganz einfach keinen Verdacht. Keira beobachtete mich angespannt. Ich nickte ihr schließlich beruhigend zu.
»Das war beeindruckend, Janlan.«
Sie flüsterte es mir zu, als sie neben mir stand und auf den toten Jäger hinunter sah. Ich folgte ihrem Blick und sah jetzt zum ersten Mal richtig das Gesicht des Mannes, dessen Leben ich soeben beendet hatte. Er war noch sehr jung. Ich bezweifelte, dass er viel älter war als Keira oder ich. Seine braunen Augen starrten leblos an die Decke. Ein erschrockener Schauer über mich selbst jagte durch meinen ganzen Körper. Ich erstarrte zur Salzsäule, unfähig meinen Blick von dem des Jägers zu lösen. Unwillkürlich schossen mir tausend Fragen durch den Kopf. Wer war er? Hatte er Familie? Würde er vermisst werden? War da draußen jemand der ihn liebte? Was hatte ich bloß getan. Meine Knie fingen an zu zittern und an den Rändern meines Sichtfeldes wurde es schwarz. Sofort spürte ich Keiras stützende Arme. Sie führte mich zu dem Tisch und setzte mich auf einen Stuhl. Behutsam nahm sie mein Gesicht in beide Hände und zwang mich ihrem Blick zu begegnen.
»Janlan, erinnere dich, was du zu mir gesagt hast. Er war kein Mensch. Du hast keinen Menschen getötet. Hörst du? Du hast eher sogar noch Menschenleben gerettet.«
Ihr Gesicht erschien mir unscharf. Aber die Eindringlichkeit ihres Blickes war eindeutig. Ich versuchte mich zusammenzureißen. Jetzt war nicht die Zeit, um einen Nervenzusammenbruch zu bekommen. Langsam wurden Keiras Gesichtszüge wieder schärfer. Ich atmete einige Male tief ein und aus, bis ich mich traute wieder aufzustehen.
»Geht’s?«
Keira hielt mich immer noch am Arm fest. Sie fürchtete wohl, dass ich jederzeit bewusstlos werden würde.
»Weiter«, murmelte ich angestrengt. »Wir haben keine Zeit.«
Sie ließ mich noch nicht los, aber wir gingen zurück zur Tür. Das hier war nicht die Bibliothek. Eher ein kleines Arbeitszimmer. Ich sah mich nicht genauer um. Wir waren ohnehin schon wieder an der Tür. Keira schloss sie nicht hinter uns. Ich vermutete, dass sie das Klicken des Türschlosses vermeiden wollte. Auf dem Flur hatten wir nun noch die Wahl zwischen drei Türen. Es kam inzwischen auf jede Minute an. Wir wussten ja nicht, wie lange der Tod der vier Jäger unbemerkt bleiben würde.
»Was denkst du?«, fragte mich Keira flüsternd.
Intuitiv deutete ich auf die hinterste Tür. Keira stellte meine Entscheidung nicht infrage, sondern schlich mit mir auf Zehenspitzen dorthin. Meine Knie hatten sich inzwischen wieder beruhigt, deshalb löste ich mich aus Keiras stützendem Griff. Dieses Mal war ich diejenige, die den Türgriff herunter drückte. Wir huschten schnell hindurch. Wir hatten Glück. Vor uns erstreckte sich ein großer Raum, der gefüllt war mit gut bestückten Bücherregalen. Ein wahres Paradies für Leseratten. Wortlos begaben wir uns sofort auf die Suche nach meinem oder Keiras Wappen.
Ich wünschte mir, dass mein Großvater mir genauer gesagt hätte, wo der Eingang zum Versteck lag. So könnten wir womöglich viel zu lange brauchen, um ihn zu finden. Die Bücher waren überwiegend ziemlich alt. Was ich alleine an ihren aufwendig verzierten Lederrücken erkannte. Die Wände waren mit einer vergilbten Tapete überzogen.
»Such auf den Buchrücken.«
Keira sah mich überrascht an.
»Die Wände sind tapeziert. Da wird nirgends ein Wappen sein.«
Ich sah, wie sie zum anderen Ende des Raumes huschte. Sie würde sich von dort zu mir hin arbeiten. So würden wir alle Regale schneller abdecken. Viele der Titel waren kaum noch zu entdecken und mussten wirkliche Kostbarkeiten sein. Vermutlich sogar Erstauflagen. Es wunderte mich nicht im Geringsten, dass der Zirkel an solch banalen Dingen kein Interesse hatte. Hier konnten gut mehrere Tausend Euro schlummern. Ich fuhr mit dem Finger über jedes Buch. Auch wenn ich unheimlich schnell an den Bücherregalen vorbei ging, nahm ich doch jedes Buch wahr.
Bis jetzt hatte ich nicht eines gesehen, das auch nur die Andeutung eines Adlers oder Löwen trug. Ich erinnerte mich an das Buch in Galin und hielt gezielt nach etwas derartigem Ausschau. Keira hatte nicht mehr Erfolg als ich. Auch sie schritt noch jedes Regal ab, ohne auch nur den kleinsten Hinweis
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