Das Amulett der Seelentropfen (Seelenseher-Trilogie) (German Edition)
blieb liegen und übergab mich dem Schmerz. Ich hoffte, mich in der Bewusstlosigkeit vor der Realität verstecken zu können. Hände rissen mich vom Boden hoch und schleuderten mich gegen die Wand. Der Aufprall tat das Restliche. Meine Augenlieder flatterten überrascht auf. Für eine Sekunde sah ich wie Keira über mir stand, dann umgab mich die ersehnte Finsternis der Bewusstlosigkeit. Erst die vorsichtigen Berührungen von Doktor Ersen holten mich langsam in die verhasste Wirklichkeit zurück. Meine Schulter war bereits verbunden. Ich war froh, dass ich bewusstlos gewesen war, als er mich verarztet hatte. Die Minuten, die ich abends oft mit unbekleidetem Oberkörper verbrachte, waren nicht viel erträglicher als die Folter selbst. In diesen Minuten fühlte ich immer wieder den Blick von Brian dem Seelenjäger auf mir. Aber es war nicht sein Blick, der mich von nun an in meinen Träumen verfolgte. Es war Keiras. Allerdings war die Erinnerung an den Blick nichts zu dem wirklichen, den ich von nun an jeden Tag sah. Keira gönnte mir keinen Tag der Erholung. Sie kam jeden Tag zur selben Uhrzeit. Sobald ich am Umriss erkannte, dass sie es war, die kam, um mich zu foltern, schloss ich meine Augen und öffnete sie erst wieder, wenn sie wieder gegangen war. Die winzige Flamme der Hoffnung, die ich noch gehabt hatte, als ich vermutete, dass Keira lebte, war gänzlich erloschen.
Die Keira, die ich kannte, die Keira die meine beste Freundin war und meine Familie existierte nicht mehr. Jeden Tag befahl sie mir meine Augen zu öffnen. Ich konnte es nicht. Der Schmerz, den ihr Anblick verursachen würde, wäre im Vergleich zu dem den eine Schwertklinge verursachte, unerträglich. Alleine das Wissen, dass die Klinge von ihr geführt wurde, war schon schlimmer, als die Klinge tatsächlich zu spüren. Es war das fünfte Mal, dass Keira mich aufsuchte und keine Antworten von mir bekam. Aber sie war es nicht die zu mir sprach, als meine Sinne bereits dabei waren zu verschwimmen.
»Janlan Alverra, ab morgen wirst du alleine Keiras Gnade unterliegen. Ich werde sie nicht länger zurückhalten. Ich bin sicher, du tätest gut daran, ihr zu sagen, was sie wissen möchte.«
Ich musste meine Augen nicht öffnen, um das Lächeln auf Samanthas Gesicht zu sehen. Es war mehr als überdeutlich in ihrer Stimme zu hören. Ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte. Ich war mir nicht sicher, ob Keira wirklich noch den Rest des Mitgefühls aus ihrem Wesen vertrieben hatte. Ich fürchtete mich davor es herauszufinden. Das alles war wie ein nie enden wollender Albtraum. Ich erlaubte mir nicht zu hoffen, dass Keira sich morgen anders verhalten würde. Ich erlaubte mir nicht, noch irgendetwas zu fühlen. Ich schirmte mich mit völliger Taubheit ab. Rollte mich in diesen Schutzpanzer ein und ließ alles über mich ergehen. So hatte ich die letzten Tage überstanden und so würde ich es auch morgen ertragen. Ich zwang mich einfach nichts zu fühlen. Als die Tür aufschlug und Keiras Umrisse erschienen, ließ ich mich noch tiefer in den Abgrund der Gleichgültigkeit fallen. Meine Augen waren fest geschlossen. Ich blinzelte nicht ein einziges Mal.
»Sieh mich an Janlan!«, wiederholte die Stimme, die ich nicht länger als Keiras erkennen wollte.
»Sieh mich an«, sagte sie leiser aber genauso eindringlich. Ich reagierte nicht. Ich reagierte nicht auf ihre Worte und ich reagierte nicht auf die Schmerzen. Jeder Schwerthieb ertrank in meiner Emotionslosigkeit.
»Janlan, schau mich endlich an!«
Das war eine neue Ausdrucksweise, die mich für einen Moment straucheln ließ. Fast hätte ich mich zu einem schnellen Blick hinreißen lassen. Doch dann biss ich mir die gerade verheilte Lippe wieder auf, um mich daran zu hindern.
»Janlan…«, diese Stimme musste eine Erinnerung sein, die mir mein Verstand vorgaukelte. Diesen Ton hatte ich nicht einmal in Keiras Stimme gehört, seit sie mich besuchte. Dieser Ton existierte nicht mehr. Einbildung. Mehr war es nicht. Ein grauenhafter Scherz meines eigenen Verstandes. Die Tür rastete schwer in ihr Schloss ein und ich versank in der erlösenden Finsternis, der immer öfters eintretenden Ohnmacht. Sicherlich würde ich das nicht mehr lange ertragen. Ich hüllte mich unter Tränen in einen tiefen Schlaf, indem ich nichts weiter sah als die mir vertraute Klippe und nichts weiter hörte, als das rätselhafte Gedicht. Ich sah mich nicht nach Craig um. Er war in keinen meiner Träume aufgetaucht. Er war weg. Wie
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