Das Amulett der Seelentropfen (Seelenseher-Trilogie) (German Edition)
alles. Nur noch ein schwacher Erinnerungsschatten aus meinem vergrabenen Bewusstsein. Ich wusste nur noch meinen Namen, als die Tür am nächsten Tag erneut aufschlug. Meinen Namen und den Namen der Frau, die ich früher als Keira kannte und die nun kam, um mich erneut zu quälen. Ich musste nicht einmal mehr ihre Umrisse sehen. Ich erkannte es am bloßen Klang ihrer Schritte. Sie war es. Mein Körper spannte sich unweigerlich an. Auf neue Verletzungen und Knochenbrüche vorbereitet.
Das Band der Freundschaft
Verwirrung umnebelte meine Gedanken, als ich zwei Arme spürte, die sich um meine Hüfte schlangen und mich auf die Beine zogen. Irgendjemand trug mich zu der schmutzigen Matratze. War die Folter schon vorbei? War Doktor Ersen bereits hier um mich zu versorgen? War ich gleich zu Anfang ohnmächtig geworden, dass ich absolut nichts mitbekommen hatte? Stand es schon so schlecht um mich? Hatte Keira mich inzwischen an den Rand des Todes gebracht? Lauter Fragen, dessen Antworten mich nicht einmal mehr wirklich interessierten.
»Janlan hörst du mich?«
Ich war sicher, dass ich nun völlig den Verstand verloren hatte. Diesen Satz hatte ich schon oft gehört. Das musste also wieder nur eine Erinnerung sein, die sich ihren Weg an die Oberfläche erkämpft hatte. Ein Versuch mir eine Wirklichkeit vorzugaukeln, die es nicht mehr gab. Keira die Schützerin war tot. Es hieß jetzt wohl eher Keira, die Seelenjägerin. Ich glaubte, dass ich inzwischen nicht mehr ganz unterscheiden konnte, wann ich bei Bewusstsein war und wann nicht. Alles verschwamm zu einem großen Durcheinander. Zwei Hände umfassten mein Gesicht. Die Berührung war zu zart, zu vorsichtig, um real sein zu können. Hier war niemand, der mich auf eine so vertraute Weise anfassen würde. Also ein Traum, eine Erinnerung oder irgendetwas Derartiges. Ich gestattete mir diese Illusionen. Viel zu verlieren hatte ich nicht mehr, da konnte ich den Rest meines Verstandes auch noch opfern.
»Janlan…«, da war sie wieder diese Stimme aus der Vergangenheit. Eine der Hände strich mir eine dreckige Strähne meines Haars aus dem Gesicht.
»Janlan, jetzt mach schon die Augen auf. Bitte. Sieh mich an. Janlan?«
Besorgnis. Tiefe unerschütterliche Besorgnis lag in dieser Stimme. Ihr Drängen war verlockend. Aber sobald ich die Augen öffnete, würde ich mich alleine in meinem Kerker wieder finden.
»Janlan. Es tut mir leid. Ich musste soweit gehen. Janlan, bitte sieh mich an.«
Die Stimme erstarb.
»Nicht echt«, murmelte ich zu mir selbst, um der Versuchung zu widerstehen.
»Janlan… Ich werde dir nicht wehtun. Es tut mir so leid, dass ich es musste. Ich verspreche dir, ich werde dir nichts mehr tun. Bitte Janlan, sieh mich an.«
Das hatte Keira nie zu mir gesagt. Das war keine Erinnerung. Keira hatte nie einen Grund gehabt, mir zu versprechen, dass sie mich nicht weiter verletzten würde. Konnte es sein? Konnte es wirklich wahr sein? War Keira bei mir? Meine Keira? Ich wollte es glauben und zugleich wollte ich mich keiner falschen Hoffnung hingeben. Ich presste meine Augen fester zu und fragte zögerlich und mit brechender Stimme, »Kei…Keira?«
Die Hände an meinem Gesicht wurden hektischer. Immer wieder strichen sie mir Strähnen aus dem Gesicht. Mein Pony war inzwischen nicht mehr als solches zu erkennen.
»Natürlich Janlan. Ich bin’s. Ich tu dir nicht mehr weh. Mach einfach nur die Augen auf. Bitte.«
Ich blinzelte. Nach so langer Dunkelheit tat so gar das schwache Licht der Sonne weh. Meine Sicht war verschwommen. Aber es reichte, um die Umrisse eines Gesichtes zu erkennen. Ich traute mir jedoch immer noch nicht. Ich hob meinen rechten Arm, wodurch einige der Verletzungen wieder aufbrachen. Ich zuckte ein wenig zusammen, unterbrach aber meine Bewegung nicht. Ich streckte die Hand aus und berührte mit den Fingerspitzen das Gesicht vor mir. Ich erwartete nach vorne zu kippen, durch meine Illusion hindurch, aber meine Finger trafen auf die weiche warme Haut eines Menschen.
»Keira?!«
»Ja, Janlan. Ja. Ich bin hier. Ich bin wirklich hier. Ich tu dir nicht mehr weh. Bitte verzeih mir. Es ging nicht anders. Ich konnte nichts anderes tun. Sie hätten dich noch schlimmer verletzt, als ich es getan habe. Ich musste es tun. Es tut mir so leid. Bitte, bitte verzeih mir…«
Die Worte sprudelten aus ihr heraus und an ihrer brüchigen Stimme erkannte ich, dass sie weinte. Allmählich konnte ich klarer sehen. Keiras Gesicht wurde schärfer und
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