Das Amulett der Seelentropfen (Seelenseher-Trilogie) (German Edition)
Besuchen blutend auf dem nassen Boden aufwachte oder später erst dort zusammenbrach. Meine Verletzungen konnten nicht so schnell heilen, wie ich sie erlitt. Würde ich all das hier überleben, würde ich Jahre brauchen, um zu jeder Narbe die dazugehörige Geschichte zu erzählen. Immerhin hatte Samantha mir bis auf diesen einen Schnitt keine Wunden mehr im Gesicht zugefügt. Ich würde also nicht völlig entstellt enden.
Vierzehn Tage lang hielt ich schon diese Folter durch. Das waren sieben erinnerungswürdige Besuche von Samantha. Ich konnte kaum noch eine Stelle an meinem Körper berühren, die nicht schmerzte oder von Schorf überzogen war. Als Samantha mich nach ihrer achten Verhörstunde verließ, wandte sie sich noch einmal zu mir um, etwas, das sie vorher nie gemacht hatte. Um ihre Lippen spielte ein Lächeln, das mir mehr als alles andere Angst einjagte. Es war ein Lächeln, das von einem grauenhaften Triumph erzählte. Jede Faser sträubte sich gegen die Vermutung, was für ein Triumph ein solches Lächeln hervorrief. Keiras Name spukte sofort angsterfüllt durch meine Gedanken. Als sie endlich sprach, hörte ich auch zum ersten Mal einen Teil ihrer Persönlichkeit in ihrer Stimme. Der Teil, der sich schon jetzt an meinen Schmerzen labte.
»Übermorgen werde nicht ich dich besuchen. Eine gute Freundin wird mich vertreten. Vielleicht bist du ihr gegenüber etwas aufgeschlossener.«
Dann war sie auch schon zur Tür hinaus und das Blutlicht verschwand mit ihr. Ich fürchtete, was sie damit meinte. Ich fürchtete die Vorahnung, die sich in mir aufbäumte. Nur ein wirklich schmerzhaftes Ereignis für mich würde Samantha solch ein freudiges Lächeln abzwingen. Ich schlief nicht. Nicht diese Nacht und auch nicht die Folgende. Ich saß wieder auf meiner Matratze und starrte auf die feuchten Steine. Ich wechselte zwischen einem Zustand größter Erregung - Momente, in denen meine Gedanken sich so schnell jagten, dass ich kaum folgen konnte - und emotionsloser Taubheit. Ich versuchte meine Gedanken zu kontrollieren indem ich mir immer wieder sagte, dass meine Vorstellung viel schlimmer sein würde als das, was vielleicht wirklich passieren würde. Das beruhigte mich nicht im Geringsten. Erst das unaufhörliche Zitieren des rätselhaften Gedichtes ermöglichte mir, meine viel zu lebhafte Fantasie zu zügeln.
Mit Schrecken beobachtete ich den Beginn des Besuchstags. Die wenigen Sonnenstrahlen, die durch das mickrige Fenster fielen, erschienen mir ungewöhnlich rot, als wollte die Sonne mich bereits auf das Blutlicht heute Nachmittag vorbereiten. Jedes Mal, wenn die Lampe an der Decke ihr Licht verbreitete, wirkte mein Kerker wie eine Kulisse aus einem wirklich schlechten Horrorfilm. Heute schien der Film bereits früher zu beginnen. Die Minuten verstrichen wie ewige Momente. Sie zerrten an meinen Nerven und pochten wild in den frischen Wunden. Wie gewohnt blendete mich das helle Licht, das durch die offene Tür kam. Auch war es normal, dass ich erstmal nur die Umrisse von Samantha erkennen konnte. Aber es war nicht Samantha, die dort stand. Die Gestalt war kleiner. Die Haare waren nicht in einem strengen Zopf zurückgebunden, sondern fielen über die Schultern. Die Haltung der Frau war aggressiv. Sie stand leicht breitbeinig dort und ihr Oberkörper war ein wenig nach vorne gebeugt. Sie erinnerte mich an eine Raubkatze, die bereit war zum Sprung. Als sie endlich einen Schritt hereinkam und so das meiste Licht hinter ihr versperrte, stockte mein Atem simultan mit dem Aussetzen meines Herzens. Der Ausdruck in den vertrauten Augen war so fremd und brutal, dass er jeden meiner Albträume weit übertraf. Meine Worte waren ein schwacher Hauch, der von meiner drohenden Ohnmacht zeugte. Ich hätte jeden meiner Albträume dem hier vorgezogen.
»Keira…?«
Über Keiras Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, das ich noch nie zuvor gesehen hatte. Es war das Lächeln eines Racheengels. Wunderschön und brutal.
»Janlan.«
Ihre Stimme war so kühl, wie die Samanthas.
»Keira, oh Keira. Was ist passiert?«
Das Lächeln verschwand nicht aus ihrem Gesicht, während sie dem Kobold befahl den Stuhl an seinen üblichen Platz zu stellen. Das rote Licht flackerte über ihr Gesicht und warf Unheil verkündende Schatten. Sie ließ sich mit einer einzigen flüssigen Bewegung auf den Stuhl nieder. Wie immer saß ich so nahe, dass mich jede Waffe mühelos erreichte. Die Vorstellung Keira würde mir etwas antun war einfach absurd,
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