Das Amulett des Dschinns
…
Seufzend trat Aaliyah ans Fenster und blickte hinaus in die sternenklare Nacht. Ob er jetzt gerade irgendwo dort draußen war und zu den gleichen Sternen emporblickte wie sie?
„Aaliyah …!“
Im ersten Augenblick glaubte sie, die Stimme ihres Liebsten nur in ihren Gedanken gehört zu haben. Manchmal erging es ihr so, wenn sie ganz fest an Hamid dachte. Doch heute war es irgendwie anders.
Die Stimme schien von weit unten zu kommen, aus dem dunklen Hinterhof des Hauses.
Dann sah sie ihn, und ihr Herz fing an, wie verrückt zu klopfen. „Hamid!“, stieß sie atemlos hervor. „Wie froh ich bin, dich zu sehen! Ich vermag gar nicht zu sagen, wie oft ich dich herbeigesehnt habe, seit du fortgegangen bist – besonders jetzt, in diesen dunklen Zeiten …“
„Ich weiß es, denn ich habe dich ganz nah bei mir gespürt, jedes Mal, wenn du an mich dachtest“, raunte er. „Und ich weiß auch, dass großer Kummer dich plagt. Deshalb sage mir nun: Was hast du auf dem Herzen, meine Liebste?“
Aaliyahs Gedanken rasten. Sie war so lange von Hamid getrennt gewesen, doch jetzt glaubte sie, es keine Sekunde mehr länger aushalten zu können. Sie wollte – musste! – bei ihm sein. Doch das konnte nur klappen, wenn sie leise und heimlich vorgingen. Wenn ihr Vater Hamid entdeckte, dann … Sie mochte sich die Konsequenzen gar nicht erst vorstellen, die sie in diesem Fall erwarteten.
Andererseits: Was nutzte ihr alle Vorsicht, wenn sie morgen die Frau eines anderen Mannes wurde?
Nein, sie hatte lange genug darum gebetet, dass ein Wunder geschehen möge. Allah schien zu erwarten, dass sie ihre Geschicke selbst in die Hand nahm.
„Warte“, rief Aaliyah leise. „Ich komme runter zu dir!“
Dann raffte sie ihre Röcke und kletterte vom Fenster des Zimmers in den dunklen Hinterhof hinunter, so wie sie es als junges Mädchen schon getan hatte, wenn sie etwas unternehmen wollte, wovon ihre Eltern nichts wissen durften.
„O Aaliyah …“, flüsterte Hamid und schloss sie in seine Arme.
In diesem Moment wusste sie, dass es morgen keine Heirat geben würde – zumindest nicht zwischen Fürst Tahir und ihr …
Gegenwart
„Tahir? Wer soll das denn sein?“, fragte Prue und schaute stirnrunzelnd zwischen Hamid und Lauren hin und her. „Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass hier etwas vorgeht, von dem ich nichts weiß. Also – klärt mich vielleicht mal jemand auf?“
Lauren seufzte. Wie sollte sie ihrer Freundin das alles erklären, wenn sie doch selbst kaum in der Lage war, es zu begreifen. Außerdem war sie besorgt: Tahir hatte gedroht, Prue etwas anzutun, wenn Lauren ihr von ihm erzählte.
Sie wollte nicht, dass nachher auch noch ihrer besten Freundin durch ihre Schuld etwas zustieß!
Zu ihrem Glück war es Hamid, der das Wort ergriff. „Du sollst alles erfahren“, entgegnete er, wobei er sich argwöhnisch umschaute. „Aber nicht jetzt – und vor allem nicht hier.“ Er nahm die beiden Mädchen bei der Hand. „Kommt, ich weiß einen Ort, an dem wir relativ sicher sein dürften.“
Sie verließen die breite Straße, die am Strand entlangführte, und tauchten ein in ein verwirrendes Labyrinth winziger Gassen, einige gerade breit genug, dass man seitlich hindurchgehen konnte.
Fremdartige Geräusche und Gerüche erfüllten die Luft. Allein hätte Lauren sich niemals in diese seltsame unbekannte Welt hineingewagt, dazu wäre ihre Angst viel zu groß gewesen. Doch Hamid führte sie mit einer solchen Selbstverständlichkeit, dass sogar Prue ihm, ohne zu murren, folgte.
Als sie aber schließlich auf eine Mauer stießen, in die ein schmiedeeisernes Tor eingelassen war, das leise quietschte, als Hamid es öffnete, zögerten die Mädchen. Skeptisch blickten sie durch den Rundbogen, hinter dem sich undurchdringliche Schwärze erstreckte.
„Was … Was ist das hier für ein Ort, Hamid?“, fragte Lauren zögerlich.
„Eine Begräbnisstätte“, antwortete er ungerührt. „Kommt.“
Doch Prue schüttelte den Kopf. „Ich soll da rein?“ Ihre Stimme klang fast schon hysterisch. „Auf einen Friedhof, so spät am Abend? Es ist schon fast dunkel! Nein, kommt nicht infrage! Auf gar keinen Fall!“
Hamid neigte den Kopf zur Seite und musterte sie neugierig. „Du fürchtest dich vor den Seelen der Toten“, stellte er fest. „Warum?“
„Weil ich Friedhöfe nun einmal gruselig finde – erst recht nach Einbruch der Dämmerung!“ Hilfe suchend wandte sie sich an Lauren. „Sag du doch auch mal
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