Das Amulett des Dschinns
Familie sein sollten, waren wie Fremde für sie geworden. Hatte sie sie wirklich einmal geliebt? Es kam ihr beinahe unwirklich vor.
„Lieber ginge ich mit Freuden in den Tod, als das Eheweib dieses Tyrannen zu werden!“, stieß sie verzweifelt und wütend zugleich aus. „Ich hasse euch!“ Dann barg sie das Gesicht in ihrem Kissen und weinte hemmungslos.
Kurz darauf hörte sie, wie ihr Vater fluchend aus dem Raum polterte. Ihre Mutter legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Du wirst sehen, Kind, eines Tages wirst du uns dankbar sein.“
„Nein, Mutter, niemals!“, schluchzte Aaliyah. „Niemals werde ich euch verzeihen, was ihr mir angetan habt!“
Später, viel später, als ihre Tränen versiegt waren, lag sie immer noch auf ihrem Lager und starrte gedankenverloren zur Decke empor. Sie fühlte sich wie betäubt. Bisher hatte sie geglaubt, dass es ihr schon irgendwie gelingen würde, ihren Vater oder den Fürsten von ihren gemeinsamen Plänen abzubringen. Nun aber musste sie erkennen, dass das niemals der Fall sein würde. Die beiden standen kurz davor, ihr Ziel zu erreichen. Morgen schon sollte die Hochzeit stattfinden, bei der Aaliyah für den Rest ihres Lebens an einen Mann gefesselt werden sollte, für den sie nur Abscheu und Widerwillen empfand.
Fürst Tahir interessierte sich nicht für ihre Wünsche. Ja, er hatte sie nie auch nur danach gefragt, was sie wollte. Er trachtete danach, sie zu besitzen. Ein hübsches neues Juwel für seinen Harem, nicht mehr und nicht weniger bedeutete sie für ihn. So etwas wie Liebe kannte dieser Mann doch überhaupt nicht!
Ganz im Gegensatz zu Hamid …
Sie kannte ihn schon ihr halbes Leben lang, und die meiste Zeit waren sie nicht mehr füreinander gewesen als Freunde. Schon Hamids Vater arbeitete für Hicham abd’el Ghazal, und es war nur natürlich, dass sie sich oft über den Weg liefen. Gemeinsam spielten sie im roten Staub auf der Straße und tanzten Hand in Hand durch den Regen, wenn die Wolken sich einmal über der Stadt entluden. Erst sehr viel später hatte Aaliyah ihre wahren Gefühle für Hamid erkannt.
Damals, als er begann, die schöne Fatima zu treffen.
Es hatte Aaliyah überrascht und gleichzeitig erschreckt, was sie empfand, wenn sie Hamid und Fatima zusammen sah. Sie brannte vor Eifersucht und nutzte jede sich bietende Gelegenheit, ihren Jugendfreund von der reizenden Bäckerstochter fernzuhalten.
Hamid hatte ihre Bemühungen zuerst mit Befremden und dann mit wachsender Belustigung aufgenommen, ehe er schließlich begriff, dass es ihr wirklich ernst war …
Aaliyah sprang vom Bett auf und fing an, im Zimmer auf und ab zu laufen. Die Erinnerung an jene Tage, die ihr ganzes Leben veränderten, wühlten sie jedes Mal aufs Neue auf.
Fatima war bald nur noch eine entfernte Erinnerung, und aus dem zarten Flämmchen der Zuneigung entbrannte eine innige Liebe zwischen Aaliyah und Hamid. Doch ihr Glück war nicht von langer Dauer gewesen. Denn als Hicham abd’el Ghazal erfuhr, dass seine Tochter sich auf einen Mann niederen Standes eingelassen hatte, der dazu noch kaum Vermögen sein Eigen nennen durfte, untersagte er Aaliyah kurzum den Umgang mit Hamid.
Natürlich hielt sie sich nicht an seine Anweisung. Nichts hätte sie davon abhalten können, Hamid zu sehen. Sie brauchte ihn wie die Luft zum Atmen. Jeder Tag ohne ihn war ein verlorener Tag. Und so war sie auch todunglücklich gewesen, als ihr Liebster ihr eröffnete, dass er fortgehen wolle. Fort aus der Stadt und fort von ihr, um anderswo sein Glück zu machen.
Da tröstete es sie wenig, dass er es nur für sie tat.
Hamid wusste, dass ihr Vater ihre Beziehung niemals billigen würde, sofern es ihm nicht gelang, zumindest zu bescheidenem Wohlstand zu kommen. Er versprach Aaliyah, dass er nicht lange fortbleiben würde. Wie lange genau, konnte er ihr allerdings nicht sagen.
Inzwischen waren fünf Monate vergangen, ohne dass sie auch nur das kleinste Lebenszeichen von ihrem Liebsten erhalten hatte. Doch sie wusste, dass er wohlauf war und dass es ihm gut ging. Sie hätte es ganz sicher gespürt, wenn ihm irgendein Unheil zugestoßen wäre.
Ach, wärest du nur hier, Hamid! Könntest du nur bei mir sein und mir beistehen in dieser Stunde meiner größten Not!
Aber vielleicht war es auch besser so. Aaliyah traute es dem Fürsten zu, dass er einen unbequemen Widersacher ohne großes Aufhebens aus dem Weg schaffen würde. Dort, wo er jetzt war, befand sich Hamid wenigstens nicht in Gefahr
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