Das Amulett des Dschinns
sie so, als hätte sie alles andere um sich herum vergessen. „Ich hab dich doch viel zu gern, als dass ich lange böse auf dich sein könnte.“ Jetzt hielt sie inne. „Hör zu, ich kann das alles noch immer nicht fassen. Was du mir da erzählt hast …“
„Das kann man nicht glauben, ich weiß. Aber es ist wahr – leider.“
„Und genau deshalb mache ich mich jetzt auf die Suche nach diesem verdammten Amulett.“
„Was hat es mit dir bloß auf sich?“ Stirnrunzelnd fuhr Kylie immer wieder mit den Fingerspitzen über den blutrot glänzenden Stein des Amuletts, das sie am Nachmittag vom Strand mitgebracht hatte.
Sie saß allein auf ihrem Zimmer. Ihre Mitbewohnerin Mandy war mit Teri und den anderen noch einmal zum Strand zurückgefahren. Sie wollten irgendeine dämliche Abschiedsparty für Claire feiern. Als würde die irgendeinen gesteigerten Wert darauf legen, dass sich ihre Freunde in ihrem Namen bis zur Bewusstlosigkeit betranken.
Kylie verspürte kein Mitgefühl mit dem Mädchen, das sie früher vermutlich als Freundin bezeichnet hätte. Sie hatte ihr nie etwas bedeutet, ebenso wenig wie die meisten anderen Mitglieder ihrer Clique. Ja, nicht einmal Teri war ihr so wichtig, dass sie ihr zuliebe auf irgendetwas, das sie unbedingt haben wollte, verzichtet hätte.
Trotzdem waren die Umstände von Claires Tod schon ziemlich seltsam. Richtiggehend mysteriös! Wer starb denn heutzutage noch an der Pest? Nein, da steckte etwas anderes hinter. Und Kylie wurde das Gefühl nicht los, dass sich die Antwort auf dieses Rätsel in diesem Amulett befand.
Probehalber legte sie es sich um den Hals und trat vor den Spiegel. Seit den letzten beiden Tagen vermied sie es eigentlich, einen Blick auf ihr Spiegelbild zu werfen, denn was sie sah, gefiel ihr überhaupt nicht.
Sie sah krank aus, aufgeschwemmt und fett, mit speckig glänzender Haut und strähnigem Haar. Und ganz gleich, wie sehr sie sich auch im Bad abmühte, keines ihrer kleinen Wundermittelchen aus der Drogerie schien diesen Effekt abmildern zu können. Sie wusste nicht, woher diese Veränderung rührte, doch so langsam fing sie an zu glauben, dass es nicht mit rechten Dingen zuging. Umso überraschter war sie, als sie nun in den Spiegel schaute und die alte Kylie darin erblickte: rank und schlank, mit makellosem Teint und Haar, so glatt und glänzend wie goldene Seide.
Sie blinzelte erstaunt. Was war das jetzt wieder?
Sie kniff die Augen zusammen, um sicherzugehen, dass es sich nicht nur um einen wunderbaren Traum handelte. Doch als sie sie wieder aufschlug, hatte sich der Anblick nicht verändert.
Zumindest wenn man von dem Jungen absah, der im Spiegel plötzlich hinter ihr stand.
Erschrocken wirbelte Kylie herum, doch da war niemand. Hatten ihr lediglich ihre angespannten Nerven einen Streich gespielt?
Doch als sie sich wieder dem Spiegel zuwandte, war er immer noch da.
Ein Lächeln glitt über ihre Lippen. Ihre Halluzination – und nichts anderes konnte es sein – bewies zumindest, dass sie Geschmack besaß, denn der Junge sah zum Niederknien gut aus.
Dunkle, glutvolle Augen, in denen ein geheimnisvolles Feuer zu lodern schien, sanft geschwungene, sinnliche Lippen, hohe Wangenknochen und markante Züge, denen ein Hauch von Arroganz anhaftete.
Er beugte sich vor, und sie glaubte fast, seinen Atem am Hals zu spüren – doch das war natürlich Unsinn, denn sie war allein im Zimmer.
Doch dann fühlte sie ein Streicheln an ihren Schultern, verführerisch und lockend wie von einer Feder, und sie musste ein heiseres Stöhnen unterdrücken.
Ihr stockte der Atem. Wie war das möglich? Begann sie ausgerechnet jetzt, wo das Blatt sich wieder zu wenden schien, den Verstand zu verlieren? Nein, so grausam konnte das Schicksal doch nicht sein!
„Nein, ma chère , du fantasierst nicht“, erklang eine warme, rauchige Stimme direkt an ihrem Ohr.
Er war es. Der Junge im Spiegel!
„Wer … bist du?“ Mit einem neugierigen Lächeln blickte sie ihn an. Seltsamerweise verspürte sie keine Angst. Ganz im Gegenteil sogar. Ihr Herz klopfte vor Aufregung schneller bei seinem Anblick.
„Mein Name ist Tahir“, flüsterte er und küsste sie auf den Nacken. Es war ein Gefühl, als würden Schmetterlingsflügel ihre Haut streifen. „Und ich bin gekommen, um dir das zu bringen, was du dir auf der Welt am allermeisten wünschst.“
„Ach.“ Skeptisch schaute sie ihn an. „Und das wäre?“
Er lächelte. „Denk doch mal nach. Wenn du einen Wunsch
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