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Das Amulett

Das Amulett

Titel: Das Amulett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan R. Bellem
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von vorn beginnen?
    Der Obsidian fühlte sich kühl an – nein, kalt. So kalt wie ihr früheres Leben. Raltas war damals die einzige Wärme gewesen, die ihre Seele gekannt hatte. Nun erkannte Calissa, dass sie in ihren neuen Freunden weit mehr gefunden hatte. Auch wenn es Tharador und die anderen nicht kümmerte, was sie früher getan hatte und wer sie gewesen war, sie wünschte, sie wäre ein besserer Mensch gewesen. Calissa schämte sich für ihre Vergangenheit. Ihre freie Hand bewegte sich zur spiegelglatten Wasseroberfläche, verharrte jedoch kurz darüber. Sie wagte nicht, das heilige Wasser zu berühren, da sie fürchtete, ihre eigenen Verfehlungen könnten wie Schmutz in die Quelle gewaschen werden und sie für alle Zeit verderben.
    Calissa hörte nicht, wie die erhabene Gestalt des Ewigen neben sie trat, sie spürte es nur, spürte die Aura der Macht, die ihn umgab, die Macht über das Leben nach dem Tod. Und die Macht eines Gottes. Seine Reinheit strahlte heller als die Sonnenscheibe und raubte ihr den Atem. Ihr Brustkorb verkrampfte sich, ihre Lungen zogen sich zusammen. Calissa fürchtete, neben der Reinheit des Kanduri einfach zu verbrennen.
    Als der Ewige ihr sanft eine Hand auf die Schulter legte, entfuhr Calissa ein gepresstes Keuchen. »Erschreckt meine Anwesenheit dich so sehr?«, fragte der riesige Zentaur, und seine Stimme hallte seltsamerweise nicht in Myriaden von Tonlagen, sondern nur in einem tiefen, freundlichen Bariton.
    Calissa schüttelte den Kopf. »Euer Anblick ist es ganz und gar nicht.« Sie beugte sich ein wenig nach vorn und betrachtete ihr Spiegelbild auf der Wasseroberfläche. »Es ist vielmehr meiner, den ich nicht ertrage.«
    »Ah«, stieß der Kanduri lang gezogen aus. »Was ist an deinem Bild denn so unansehnlich?«
    Calissa zuckte die Achseln und tippte sich mit der linken Hand gegen die Brust. »Ich trage Bilder in mir, die ich lieber nicht sehen würde.«
    »Und wer tut das nicht?«, fragte der Ewige.
    Ein Gefühl von Wärme durchströmte sie in gleichmäßigen Wellen und ließ sie erstarren.
    »Hmm«, begann der Ewige schließlich. »Ich kann nichts Hässliches in dir finden.«
    »Aber meine Vergangenheit ...«, setzte Calissa an, doch der Kanduri schnitt ihr das Wort ab.
    »... ist genau das. Vergangenheit. Deine Taten mögen manches Mal dunkel gewesen sein, deine Seele ist es nicht. Ich sehe, wie sehr sie sich und damit auch dich quält.«
    Calissa schüttelte entschieden den Kopf. »Ich bin kein guter Mensch. Ich habe diese Kette gestohlen«, sagte sie und holte den Anhänger hervor. »Ich nahm einem unschuldigen Mann das Andenken an seine tote Frau.«
    »Und du hast damit einen Schwur erfüllt, den du einem geliebten Menschen geleistet hattest«, fügte der Ewige hinzu.
    Calissa zuckte erneut die Achseln.
    »Denkst du nicht, dass Graf Totenfels genug andere Dinge hat, die ihn an seine Frau erinnern? Und der Heiltrank, den du dabei gefunden hast? Hat er nicht Kommandant Cordovan das Leben gerettet?«, fragte der Zentaur.
    Calissa blickte ihm unverwandt in die Augen. Sie waren alt; man konnte seinem Blick unzählige Jahre des Lebens ansehen; die Macht, die er besaß; die Güte. Alles widerspiegelte sich in seinem fesselnden Blick. »Woher wisst Ihr das alles?«, fragte sie erstaunt.
    »Deine Seele hat es mir erzählt, als ich dich berührte«, erklärte der Gott.
    Er griff mit der freien Hand nach der Kette; einen winzigen Lidschlag lang weiteten sich seine Augen, als er dabei alle früheren Berührungen des Amuletts erspürte.
    »Ein kostbares Schmuckstück«, sagte er mit einem Lächeln. »Doch es spiegelt nicht deine Seele wider.«
    Calissa begriff nicht, was er damit meinte, doch schon im nächsten Moment leuchtete die den Anhänger haltende Hand golden auf, und mit einem Mal fühlte die Kette sich warm an.
    »Jetzt ist es besser.«
    Calissa betrachtete den Anhänger; zuerst konnte sie keine Veränderung feststellen. Der Obsidian schimmerte schwarz und violett. Erst, als sie genauer hinsah, konnte sie feine goldene Linien in dem Stein ausmachen, die ihn wie Sternschnuppen überzogen und verblassten, erneut entstanden und erstarben. Ein goldener Wirbel, der das Schmuckstück lebendig erscheinen ließ. »Was habt Ihr getan?«, fragte sie erstaunt.
    »Du hast diesen Schmuck genommen, um ein Versprechen einzulösen. Auch wenn du es nicht erkennst, so steht er für deine Treue und Liebe, die du tief in dir trägst. Und nun wird er diese Gefühle in seiner Farbe

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