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Das Anastasia-Syndrom

Titel: Das Anastasia-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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vermutlich auf entsprechende Hinweise stoßen. Ein ansehnlicher Besitz. Auf meinen Vorfahren, Simon Hallett, bin ich nicht besonders stolz. Er muß ein aalglatter, gerissener Knabe gewesen sein. Aber ich glaube und hoffe, du wirst Edge Mar-ton genauso lieben wie ich.«
    Das Anwesen lag auf einer Felsbank nahe einer bewaldeten Talschlucht. Hinter den mehrteiligen Fenstern brannten helle Lampen, deren Strahlen über die Steinfassade glitten. Das Schieferdach schimmerte dunkel im Schein der Mondsichel. Der von einem Giebel gekrönte dreistöckige Seitenflügel, laut Stephen der älteste Teil des Gebäudes, erhob sich zur Linken maje-stätisch über den Baumwipfeln. Stephen wies auf die oben halb-runde Tür mit der Lunette und den blanken Riegeln in der Nähe des rechten Flügels. »Um die reißen sich die Antiquitätenhändler ständig. Morgen früh kannst du die Reste des Burggrabens sehen. Er ist jetzt ausgetrocknet, war aber vor tausend Jahren offenbar ein recht wirksamer Schutz.«
    Bei den Recherchen für ihr Buch hatte sich Judith mit alten Gebäuden vertraut gemacht, doch als der Wagen vor dem Haupteingang von Edge Barton hielt, wurde ihr klar, daß sie hier in jeder Beziehung völlig anders reagierte als bei anderen histo-rischen Häusern.
    Stephen beobachtete ihr Gesicht. »Nun, Darling, es scheint deinen Beifall zu finden.«
    »Mir ist, als ob ich heimkomme.«
    Arm in Arm erkundeten sie das Innere des Hauses. »Seit Jahren schon bin ich immer viel zu kurz hier gewesen«, erklärte Stephen. »Jane war ja so krank und hielt sich deswegen lieber in London auf, wo ihre Freunde sie mühelos besuchen konnten. Ich bin allein hergekommen und gerade so lange geblieben, um die Runde in meinem Wahlkreis zu machen.«
    Der Salon, das Speisezimmer, der große Saal, der Tudorkamin im Schlafzimmer über dem Salon, die normannische Treppe im alten Teil, die prachtvollen Fenster mit den Hohlkehlen, der glatte, weiche Bierstein im oberen Saal, auf dem Generationen von Kindern Schiffe und Menschen, Pferde und Hunde, Initialen und Namen und Daten gemalt hatten. Judith blieb stehen, um sie zu betrachten, als ein Diener die Treppe heraufkam. Sir Stephen wurde am Telefon verlangt. »Ich bin gleich wieder da, Darling«, murmelte er.
    Eine Inschrift an der Wand schien förmlich zu lodern. V.C.
    1635. Judith strich mit den Händen darüber. »Vincent«, flüsterte sie. »Vincent.« Benommen durchquerte sie den Raum bis zu der Treppe, die zu dem Ballsaal im vierten Stock führte. Es war stockfinster. Sie tastete sich an der Wand entlang, fand den Lichtschalter und sah dann zu, wie sich der Saal mit Menschen in der Gesellschaftskleidung des 17. Jahrhunderts füllte. Die Narbe an ihrer Hand begann sich rot zu verfärben. Es war der 18. Dezember 1641…

    »Edge Barton ist ein prachtvoller Wohnsitz, Lady Margaret.«
    »Das kann ich nicht abstreiten«, entgegnete Margaret Carew in eisigem Ton dem stutzerhaft herausgeputzten jungen Mann, dessen sorgfältig gekräuseltes Haar ebenso wenig die ebenmäßigen Züge und die geschniegelte Kleidung den verschlagenen, doppelzüngigen Eindruck zu verwischen vermoch-ten, den Hallett, Bastard des Herzogs von Rockingham, er-weckte.
    »Euer Sohn Vincent beobachtet uns argwöhnisch. Ich glaube nicht, daß er mir sonderlich gewogen ist«, sagte er. »Hat er Grund, Euch nicht gewogen zu sein?«
    »Vielleicht spürt er, daß ich in seine Mutter verliebt bin. Im Ernst, Margaret, John Carew ist kein Mann für Euch. Mit fünf-zehn habt Ihr ihn geehelicht. Mit zweiunddreißig übertrifft Eu-re Schönheit die aller anderen Frauen in diesem Saal. Wie alt ist John? Fünfzig? Und seit seinem Jagdunfall noch dazu ein Krüppel.«

    »Und er ist der Gatte, den ich von Herzen liebe.« Margaret lenkte den Blick ihres Sohnes auf sich und nickte ihm zu. Mit raschen Schritten durchquerte er den Saal.
    »Mutter.«
    Er war ein hübscher Junge, hochgewachsen und gut entwik-kelt für seine sechzehn Jahre. An seinen Gesichtszügen war deutlich der Carew zu erkennen, doch Margaret pflegte ihn damit zu necken, daß er seine dichte kastanienbraune Mähne und die blaugrünen Augen ihr zu verdanken habe, Familien-merkmale der Russells.
    »Simon, Ihr kennt ja meinen Sohn Vincent. Du erinnerst dich doch an Simon Hallett.«
    »In der Tat.«
    »Und woran genau erinnert Ihr Euch da, Vincent?« Hallett lächelte herablassend.
    »Ich erinnere mich Eurer Gleichgültigkeit gegenüber den neuen Steuern, Sir, die jedem der hier Anwesenden

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