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Das Anastasia-Syndrom

Titel: Das Anastasia-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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zurücklaufen.
    »Die Frau mit dem Cape und der dunklen Brille. Sie hat gemerkt, daß sie gefilmt wurde. Sehen Sie sich an, wie sie die Kapuze tiefer ins Gesicht zieht. Alle übrigen Erwachsenen stürzen los, um den Kindern zu helfen. Sie dreht sich um und geht weg.«
    Sloane wandte sich an einen Assistenten. »Lassen Sie sämtliche Bilder von ihr herauskopieren und vergrößern. Vielleicht können wir sie identifizieren. Immerhin möglich, daß uns das wei-terbringt.«
    Jemand knipste das Licht an. »Und noch etwas«, fuhr Sloane fort. »Achten Sie besonders darauf, ob sich unter den Schnappschüssen der Touristen welche von der Frau im Cape finden.«

    ***

    Als Judith sich am Nachmittag für den Besuch in der National Portrait Gallery umzog, entschied sie sich widerstrebend für ein hellgraues Kostüm, hohe Absätze und den Zobelmantel. In den paar Tagen seit Stephens Wahl zum Parteivorsitzenden hatten verschiedene Zeitungen Kurzbiographien gebracht und ihn übereinstimmend als den begehrtesten und attraktivsten reiferen Junggesellen Englands bezeichnet. In einem Blatt hieß es, seit Edward Heath habe es keinen unverheirateten Premierminister mehr gegeben, und Sir Stephen werde, unbestätigten Gerüchten zufolge, wohl bald eine Verbindung eingehen, die der englischen Bevölkerung zusagen dürfte.
    Diese Formulierung stammte von dem Klatschkolumnisten Harley Hutchinson. Also sollte ich lieber nicht wie ein Hippie aus Greenwich Village aussehen, wenn ich mich in der Öffentlichkeit zeige, dachte Judith seufzend, bürstete sich sorgfältig das Haar, legte Lidschatten auf, tuschte die Wimpern. Dann steckte sie sich eine silberne Rose ans Revers und musterte ihr Spiegelbild.
    Vor zwanzig Jahren hatte sie sich mit Kenneth im traditionel-len weißen Brautkleid mit Schleier trauen lassen. Was würde sie bei der Hochzeit mit Stephen tragen? Ein schlichtes Nachmit-tagskleid, beschloß sie. Die Feier im kleinsten Freundeskreis.
    Damals waren es bei dem Empfang im Chevy Chase Country Club fast dreihundert Gäste gewesen. Daß einem das zweimal im Leben beschieden ist, dachte sie. Kein Mensch verdient so viel Glück.
    Sie packte ihre Brieftasche und die Schminkutensilien in die zu den Pumps passende graue Wildledertasche und kramte eine kleinere Version ihrer überdimensionalen Schultertasche hervor.
    In Gala oder nicht, meine Notizbücher brauche ich, dachte sie kleinlaut.
    Die National Portrait Gallery war am St. Martin’s Place Ecke Orange Street. In der Sonderausstellung wurden höfische Sze-nen von den Tudors bis zu den Stuarts gezeigt. Es handelte sich um private Leihgaben aus ganz Großbritannien und dem Com-monwealth; die Namen der auf den Bildern dargestellten Rand-figuren waren, soweit bekannt, auf gerahmten Tafeln angegeben. Bei Judiths Ankunft war die Galerie noch stark frequentiert, und sie beobachtete amüsiert, wie die Leute die gedruckten Na-menslisten studierten, offensichtlich in der Hoffnung, einen längst vergessenen Vorfahren zu entdecken.

    Sie interessierte sich besonders für die Bilder, auf denen Karl I., Cromwell und Karl II. dargestellt waren, und ging dabei nicht chronologisch, sondern in umgekehrter Richtung vor. So hatte sie Gelegenheit, die festliche Gewandung von Karl II. nach seiner Rückkehr aus dem Exil mit den puritanisch streng und schmucklos gekleideten Vertrauten Cromwells zu vergleichen. Die Gemälde mit Karl I. und seiner Gemahlin Henrietta Maria faszinierten sie ungemein. Sie wußte, daß Königin Henrietta für prunkvolle Schau-spiele schwärmte und sich von dem strengen Tadel der Puritaner überhaupt nicht beirren ließ. Besonders ein Bild erregte ihre Aufmerksamkeit: Es zeigte das Königspaar als Hauptfiguren in der Szenerie von Whitehall Palace. Der Hofstaat war offensichtlich für eine Aufführung kostümiert. Hirtenstäbe, Engelsflügel, Heiligen-scheine und Gladiatorenschwerter in Hülle und Fülle.
    »Guten Tag, Miss Chase.«
    Judith, völlig in die Betrachtung des Gemäldes versunken, fuhr zusammen, drehte sich um und sah Dr. Patel. Auf seinen ebenmäßigen Zügen lag ein Lächeln, doch sein ernster Blick entging ihr nicht.
    Sie strich ihm leicht über den Arm. »Sie wirken elegisch, Doktor.«
    Er verbeugte sich flüchtig. »Und ich dachte gerade, daß Sie wunderschön aussehen.« Und mit gesenkter Stimme: »Ich muß mich wiederholen – Sir Stephen kann sich wirklich glücklich schätzen.«
    Judith schüttelte den Kopf. »Bitte nicht hier. Soweit ich sehe, wimmelt es hier

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