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Das Anastasia-Syndrom

Titel: Das Anastasia-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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drängte Judith, das Buch zu vollenden und ihre Nachforschungen fortzusetzen, deshalb stellte sie den Wecker immer weiter vor. Sie stand jetzt um vier Uhr früh auf, arbeitete bis mittags, machte sich ein Sandwich und eine Kanne Tee und schrieb weiter bis 23 Uhr.

    Alle paar Tage lief sie durch Kensington, in der Meinung, bei entsprechender Konzentration könnte ihr eines der alten Wohnhäuser vielleicht plötzlich bekannt vorkommen. Jetzt wünschte sie die Halluzination herbei, das kleine Mädchen, das vor ihr herrannte, zu dem Eingang, der zu ihrer einstigen Wohnung führte. Hatte sie in diesen Halluzinationen sich selbst gesehen oder Polly? Darauf fiel ihr blitzartig ein: Ich bin immer Polly gefolgt. Sie konnte schneller laufen… Das Fenster zur Vergangenheit öffnete sich ein klein wenig weiter… Warum dauerte es mit den Geburtsurkunden so lange?
    Gesellschaftlich war derzeit in London nicht viel los. Fiona kämpfte verbissen um ihren Sitz im Parlament. Die Einladungen zu Partys und Dinners, die Judith bekam, konnte sie unbedenk-lich absagen. Sie achtete peinlich genau auf die Zeit und war ganz sicher, daß keine Gedächtnisstörungen mehr auftraten. Dr.
    Patel rief regelmäßig an, und sie registrierte amüsiert seinen besorgten Tonfall zu Anfang jedes Gesprächs, als ob er Schrek-kensmeldungen über geistige Entgleisungen erwarte.
    Am 28. Februar hatte sie die erste Manuskriptfassung fertig und stellte beim Durchlesen fest, daß sie das Ganze nur geringfügig überarbeiten mußte und dann an den Verlag schicken konnte, An jenem Abend kam Stephen von einer Wahlkampfrei-se aus Schottland zurück.
    Sie hatten sich fast zehn Tage nicht gesehen. Als sie ihm die Tür öffnete, blickten sie sich lange nur in die Augen. Stephen hielt sie umschlungen, seufzte tief auf, küßte sie. Judith spürte die Wärme und Kraft seiner Arme, den Schlag seines Herzens, als er sie an sich zog. Ihre Lippen trafen sich, und wieder einmal wurde ihr bewußt, daß sie bei aller aufrichtigen Liebe zu Kenneth erst in der Beziehung zu Stephen volle Erfüllung fand.
    Beim Drink nahmen sie sich gegenseitig genauer in Augen-schein und gelangten zu übereinstimmenden Ergebnissen. »Du bist viel zu dünn, Darling«, konstatierte Stephen. »Wieviel hast du abgenommen?«

    »Das kontrolliere ich nicht. Keine Sorge, das hole ich alles wieder auf, wenn das Buch ankommt. Und nebenbei bemerkt, Sir Stephen, du bist auch ein paar Pfund losgeworden.«
    »Die Amerikaner denken, nur bei ihnen sind die Hühnchen zäh wie Kaugummi. Großer Irrtum. A propos, ich rufe jetzt lieber zu Hause an und sage Bescheid, daß wir zum Essen kommen.«
    »Nicht nötig. Ich habe alles parat. Sehr einfach. Koteletts, Salat und eine herrlich große gebackene Kartoffel für die Kohlen-hydratzufuhr. Genügt das?«
    »Und kein einziger Wähler, der mir Glück wünscht oder mich wegen Steuern löchert.«
    Sie arbeiteten gemeinsam in der winzigen Küche, Judith machte den Salat an, Stephen behauptete, niemand könne Koteletts so perfekt grillen wie er. Die Hemdsärmel aufgekrempelt, eine Küchenschürze umgebunden, lebte er sichtbar auf. »In meiner Kindheit hat meine Mutter dem Personal sonntags frei-gegeben, außer wenn wir Wochenendbesuch hatten. Sie fand es herrlich, für meinen Vater und mich zu kochen. Ich habe mich immer nach diesen wunderbaren Tagen zurückgesehnt, an denen wir ganz unter uns waren. Bei unserer Hochzeit schlug ich Jane vor, diese Tradition fortzusetzen.«
    »Und was hat Jane dazu gesagt?« erkundigte sich Judith ah-nungsvoll.
    Stephen lachte in sich hinein. »Sie war entsetzt.« Er schaute wieder nach den Koteletts. »Noch ungefähr drei Minuten, denke ich.«
    »Der Salat kann aufgetragen werden. Kartoffeln und Brötchen stehen schon auf dem Tisch.« Judith wusch sich die Hände, trocknete sie ab und umfaßte Stephens Wangen. »Möchtest du die alte Tradition wiederaufnehmen? Wenn ich nicht an der Schreibmaschine frone, bin ich eine verdammt gute Köchin.«
    Als sie sich vier Minuten später immer noch in den Armen lagen, schnupperte Stephen und rief erschrocken: »Großer Gott, die Koteletts!«

    Die Fahndung nach der Frau, die am Denkmalssockel die Bombe deponiert hatte, war in eine Sackgasse geraten. Rob Watkins, der junge Bauarbeiter, war unerbittlich verhört worden, ohne Erfolg. Zwar konnte er die Frau im dunklen Cape auf den Fotos sehr schnell als diejenige identifizieren, der er das Gelatinedynamit gegeben hatte, beharrte aber unerschütterlich

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