Das Anastasia-Syndrom
Schmuck daraus an für seine Krönung im Jahre 1661.«
Judith schlenderte langsam durch den unteren Raum, blieb vor den Exponaten stehen, um sie zu betrachten: der Salblöffel; das Reichsschwert; die Sankt-Eduards-Krone; das Gefäß für das heilige Öl, mit dem der König gesalbt wurde, die »Eagle Am-pulla«; das Zepter mit dem »Stern von Afrika«, dem größten geschliffenen Diamanten der Welt…
Das Zepter und der Krug wurden für seine Krönung angefer-tigt, dachte Margaret. John und ich haben von dem Prachtauf-wand gehört. Öl, um die Brust eines Lügners zu salben, ein Zepter, das in einer rachedurstigen Hand ruht, eine Krone, die einem weiteren Despoten aufs Haupt gesetzt wird.
Abrupt eilte Margaret an dem Yeoman Warder vorbei hinaus.
Der Raum, in dem man mich gefangenhielt, lag im Wakefield-Tower. Ich könne von Glück sagen, erklärte man mir, daß man mich bis zu meiner Hinrichtung nicht ins Verlies geworfen habe.
Der König sei deshalb so gnädig mit mir verfahren, weil ich die Tochter eines Herzogs bin, der ein Freund seines Vaters war.
Doch sie ersannen subtile Foltermethoden. O Gott, es war bit-terkalt, und sie ergötzten sich damit, mir Johns Tod zu schildern.
Er rief im Sterben nach mir und Vincent, sie spießten seinen Kopf auf einen Pfahl, wo ich ihn auf dem Weg zu meiner Richt-statt sehen würde. Hallett hat all dies geplant. Hallett suchte mich auf und verhöhnte mich mit seinen Geschichten vom Leben und Treiben in Edge Barton.
»Fehlt Ihnen etwas, Miß Chase?«
Die besorgte Stimme des Aufsehers folgte Margaret, die blindlings die Wendeltreppe empor stürmte, die gemächlichen Touristen beiseite schob. Im Hof strich sie sich mit der Hand über die Stirn, und stellte fest, daß die Narbe genau so grellrot war wie damals, als sie hier eingesperrt war. Hallett hat meine Hand genommen und die Narbe untersucht, erinnerte sie sich.
Ein Jammer, daß eine so wunderschöne Hand so entstellt sei, meinte er. Sie wandte sich um, blickte auf die alten Waterloo Barracks. Die Krone und all der Zierrat, die für Karl II. ange-fertigt wurden, sollen niemals Karls III. Haupt und Hände schmücken, gelobte sie.
»Wieder die Lady im dunkelgrünen Umhang.« Deputy Commissioner Barnes verlieh seiner Erbitterung laut Ausdruck. »Jedem Polizisten in London wurde eingeschärft, nach ihr Ausschau zu halten, und sie hat es prompt fertiggekriegt, ausgerechnet im Tower eine Bombe zu plazieren. Was ist denn mit unseren Leuten los?«
»Es waren viele Touristen dort, Sir«, entgegnete Sloane ruhig.
»Eine Frau inmitten einer Gruppe fällt nicht ins Auge, und Capes sind dies Jahr sehr beliebt. Ich vermute, die Polizisten waren in den ersten paar Wochen auf Draht, und als dann nichts weiter passierte, haben sie ihr Gedächtnis umprogrammiert und die Frau zurückgestuft…«
Es klopfte. Inspector Lynch stürzte herein. Seine beiden Vorgesetzten bemerkten sofort, wie erschüttert er war. »Ich komme gerade aus dem Krankenhaus«, meldete er. »Der zweite Aufseher im Wakefield-Tower wird den Anschlag nicht überleben, ist aber noch so weit bei Bewußtsein, um sprechen zu können. Er wiederholt ununterbrochen einen Namen – Judith Chase.«
»Judith Chase!« riefen Philip Barnes und Jack Sloane glei-chermaßen erstaunt wie aus einem Mund.
»Großer Gott«, sagte Barnes. »Wissen Sie denn nicht, wer sie ist, Mann? Die Schriftstellerin. Einsame Spitze.« Er runzelte die Stirn. »Moment mal. Da hab ich doch was gelesen – sie schreibt ein Buch über den Bürgerkrieg, über die Zeit zwischen Karl I.
und Karl II. Vielleicht sind wir da auf was gestoßen. Auf dem Rücken ihres letzten Buches ist ein Bild von ihr – wir haben es zu Hause. Jemand soll rasch ein Exemplar besorgen. Wir können dann das Foto mit unseren vergleichen und es Watkins zeigen. Judith Chase! In was für einer Welt leben wir eigentlich?«
Jack Sloane zögerte und sagte schließlich: »Es darf kein Mensch erfahren, daß wir Judith Chase überprüfen, Sir, das ist sehr wichtig. Ich besorge das Buch. Und bitte auch kein Wort zu Ihrer Sekretärin, daß wir uns für die Lady interessieren.«
Barnes runzelte die Stirn. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Sie wissen ja, Sir, meine Familie wohnt in Devonshire etwa acht Kilometer von Edge Barton entfernt, dem Landsitz von Sir Stephen Hallett.«
»Na und?«
»Miss Chase war im vergangenen Monat bei Sir Stephen in Edge Barton zu Gast. Es heißt, daß sie unmittelbar nach der Wahl heiraten wollen.«
Philip
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