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Das Anastasia-Syndrom

Titel: Das Anastasia-Syndrom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Judiths Wange. »Sie sind so hübsch. Sie sind Amerikanerin, stimmt’s? Mein Bruder war mit einer Amerikanerin verheiratet, aber das liegt lange zurück.«
    Judiths Finger umschlossen die kalte, blaugeäderte Hand. »Ich rede auch von einer lange zurückliegenden Zeit. Es war während des Krieges.«
    »Mein Sohn war im Krieg. Er war in Gefangenschaft, kam aber schließlich zurück. Nicht wie viele andere.« Ihr Kopf sank auf die Brust herab, die Augen fielen zu.
    Sinnlos, dachte Judith. Sie wird sich nicht erinnern. Muriel Bloxham begann regelmäßig zu atmen und schlief ein. Das gab Judith Gelegenheit, die Züge der alten Frau ganz genau zu studieren. Blammy hat sich viel mit Polly und mir abgegeben. Sie hat kleine Kuchen gebacken und uns Geschichten vorgelesen.
    Es verging eine knappe halbe Stunde, bis Muriel Bloxham die Augen aufschlug. »Pardon. Das kann passieren, wenn man so alt ist.« Ihr Blick war wieder hellwach.
    Judith wußte, daß sie keine Zeit verlieren durfte. »Versuchen Sie nachzudenken, Mrs. Bloxham. Erinnern Sie sich an eine Familie namens Parrish, die während des Krieges in Kent House wohnte?«

    Kopfschütteln. »Nein, den Namen habe ich nie gehört.«
    »Blammy, versuchen Sie’s«, bat Judith. »Versuchen Sie’s.«
    »Blammy.« Muriel Bloxham strahlte auf. »Seit den Zwillingen hat mich niemand so genannt.«
    Judith bemühte sich, die Stimme nicht zu heben. »Die Zwillinge?«
    »Ja. Polly und Sarah. Bildhübsche kleine Mädchen. Elaine und Jonathan sind nach der Hochzeit eingezogen.
    Sie – hellblond. Er – dunkelhaarig, groß und stattlich. Die beiden waren so verliebt ineinander. Er wurde abgeschossen, eine Woche nach Geburt der Zwillinge. Ich bin oft hingegangen und habe Elaine geholfen. Sie war völlig gebrochen. Nachdem die Raketen ganz in der Nähe gefallen waren, beschloß sie, die Kinder aufs Land zu bringen. Die beiden hatten keine Angehö-
    rigen. Deshalb habe ich ihr bei meinen Freunden in Windsor eine Bleibe verschafft. Am Abfahrtstag schlug eine Bombe in Bahnhofsnähe ein.«
    Ihre Stimme zitterte. »Furchtbar. Elaine tot. Die kleine Sarah und ein paar andere total zerfetzt, bis zur Unkenntlichkeit. Polly so schwer verletzt.«
    »Polly ist nicht umgekommen?«
    Mrs. Bloxhams Gesicht wurde ausdruckslos. »Polly?«
    »Polly Parrish, Blammy. Was ist mit ihr passiert?« Judith stiegen Tränen in die Augen. »Sie können sich erinnern.«
    Blammy begann zu lächeln. »Weinen Sie nicht, Herzchen.
    Polly geht’s gut. Sie schreibt mir manchmal. Sie hat eine Buchhandlung in Beverley, in Yorkshire. Parrish Pages nennt sie sich.«
    »Tut mir leid, Miß, aber Sie müssen jetzt gehen. Ich habe Sie über die Besuchszeit hinaus bleiben lassen.« Die Heimleiterin schaute mißbilligend drein.
    Judith erhob sich, beugte sich hinunter und küßte die alte Frau auf den Scheitel. »Leb wohl, Blammy, alles Gute. Ich komme dich wieder besuchen.«
    Im Weggehen hörte sie, wie Muriel Bloxham der Heimleiterin von den Zwillingen erzählte, die sie Blammy nannten.
    Der ausgedehnte Apparat von Scotland Yard nahm die Ermittlungen auf und begann das Leben von Judith Chase zu durch-leuchten. Binnen weniger Tage stapelten sich die Ergebnisse auf dem Schreibtisch von Commander Sloane. Unterlagen, die in die Kindheit zurückreichten, psychologische Berichte, Artikel, die sie für die Washington Post geschrieben hatte. Erwähnung in den Gesellschaftsspalten, Schulzeugnisse, Aktivitäten, Klubs, diskrete Interviews mit Kollegen in Washington, ihrem Verleger, ihrem Steuerberater.
    »Insgesamt die reine Lobeshymne«, befand Sloane, als er Philip Barnes gegenübersaß. »Da ist nicht der leiseste Hinweis auf Protestaktionen gegen die Regierung oder auf Verbindung zu radikalen Gruppen, von Geburt an. Dreimal Klassenspreche-rin in der Schule, Vorsitzende der Studentenvertretung in Wel-lesley, sozial und karitativ sehr engagiert. Ein wahres Glück, Sir, daß wir das nicht als Überprüfung deklariert haben. Wir hätten uns ja lächerlich gemacht.«
    »Da ist nur ein Punkt, der mich stutzig macht.« Barnes hatte das Jahrbuch ihrer Schule aufgeschlagen. Unter dem Klassenfo-to der üblichen Kurzbiographie stand ein Satz, der er heraus-strich: Miß Fixundfertig. Sagt, sie will Schriftstellerin werden, aber erst mal abwarten, ob sie nicht statt dessen Brücken baut. «
    »Die Bomben waren primitiv, aber sehr wirkungsvoll. Wenn Watkins nur das Gelatinedynamit geliefert hat, brauchte es ein beachtliches technisches Geschick,

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