Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
Menschen sie meistens am Anfang einer Fährte ansetzen, gehen sie automatisch sowieso in diese Richtung. Was aber, wenn man einen Hund auf der Mitte der Fährte ansetzt und ihm keine Information gibt, in welche Richtung er gehen soll, wird er dann in die Richtung loslaufen, in der die Person, die die Fährte hinterlassen hat, auch gegangen ist? Das wird er, aber nur unter ein paar interessanten Voraussetzungen. Wenn die Fährte aus nicht durchgängigen »Pfützen« von Geruch bestand, wie es bei Fußstapfen der Fall ist, ging der Hund in die gleiche Richtung wie vor ihm der Mensch. Wenn die Spur aber von etwas hinterlassen worden war, das ständig den Untergrund berührte wie zum Beispiel ein Fahrradreifen oder ein über den Boden geschleppter Sack, lief der Hund gleich oft in beide Richtungen. Vielleicht lieferte ihm die durchgängige Spur zu wenig Unterschied in der relativen Stärke, um die Bewegungsrichtung bestimmen zu können. Ein ähnlicher Effekt wurde bei einer der T-Shirt Studien mit Hunden festgestellt. Die T-Shirts identischer Zwillinge konnten von den Hunden nur dann auseinandergehalten werden, wenn sie in einer bestimmten Entfernung auseinander lagen. Wenn sie zu nahe zusammen lagen, mischten sich die Gerüche vermutlich zusammen und erschwerten die Wahl.
Es ist für uns schwierig, die Reaktion eines Hundes auf Geruchsspuren richtig zu interpretieren, weil wir so wenig über die Informationen wissen, die Hunde sammeln. Es müssten ganz eindeutig noch mehr Studien zu den geruchsbezogenen Fähigkeiten von Hunden durchgeführt werden. Im Moment gibt es viele Aspekte des Hundelebens, über die wir wegen unserer primitiven geruchlichen Fähigkeiten und mangelnder Forschungsergebnisse nur spekulieren können. Zum Beispiel ist es bei Hauskatzen normal, dass sie ihren besten Katzenfreund angreifen, wenn er vom Tierarzt zurückkommt und fremde Gerüche mitbringt, und ich frage mich, ob das auch bei Hunden passieren könnte. Riechen kürzlich gebadete Hunde für andere Hunde schlecht? Kann übler Mundgeruch bei Hunden zu sozialer Isolation führen, genau wie bei uns Menschen? Oder riecht Mundgeruch für Hunde vielleicht gut, wo sie doch Gerüche mögen, die wir ekelhaft finden?
Ich habe mich oft gefragt, welche Rolle Geruch im Verhalten aggressiver Hunde spielt. Die häufigste Art von Aggression von Hund zu Hund ist die, bei der Hunde knurren, bellen und nach vorne springen, wenn sie an der Leine an anderen Hunden vorbei geführt werden. Aber überraschend oft kamen auch Besitzer mit Hunden zu mir, die für alles in der Welt so aussahen, als ob sie unbedingt mit dem süßen kleinen Pudel auf der anderen Straßenseite spielen wollten. Typischerweise geht dann zuerst alles gut, beide Hunde nehmen eine freundliche Begrüßungshaltung ein, bis in der zweiten oder dritten Sekunde der Begrüßung der fragliche Hund explodiert und den anderen angreift. Oft konnten wir typische Ursachen wie unabsichtliche Hinweise der Hundeführer (Straffen der Leine, Atem anhalten, Lippen schürzen) oder eine »Provokation« des anderen Hundes ausschließen. Ich frage mich, ob nicht in wenigstens einigen der Fälle Geruch ein wichtiger Faktor sein könnte. Könnte es sein, dass der angegriffene Hund so riecht wie ein anderer Hund, mit dem der Angreifer schon einmal Ärger hatte? Oder löst vielleicht der hormonelle Zustand des Opfers die aggressive Reaktion aus? Vielleicht riechen sie einfach schlecht.
Ich nahm einmal eine ängstliche kleine Australian Shepherd Hündin in Behandlung auf, die so verstört war, dass sie einen Teil des Sommers bei mir zuhause verbringen musste. Als sie zum ersten Mal ins Wohnzimmer kam, erschrak sie fürchterlich über meinen damaligen Mann Patrick, der sich bei ihrem Hereinkommen zu seiner vollen Größe von ein Meter fünfundneunzig aufrichtete. Sie reagierte in Panik, stürzte bellend und mit Augen so groß wie Pfannkuchen auf ihn los. Sie überwand ihre Furcht vor ihm nie. Ich konnte ihr kaum seinen Schlüsselbund vor die Nase halten, ohne dass sie zu knurren begann, sobald sie seinen Geruch wahrnahm. Sicherlich könnte die Erinnerung an einen Geruch, der mit einem schlechten Erlebnis verknüpft war, auch bei Begegnungen von Hunden eine Rolle spielen. Eine meiner Kundinnen besaß einen Hund, der Besucher in seltenen Fällen und nach dem Zufallsprinzip anzugreifen schien. Die meisten Menschen begrüßte er an der Haustür wie lange nicht gesehene Freunde, verwandelte sich aber gelegentlich in ein
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