Das andere Ende der Leine: Was unseren Umgang mit Hunden bestimmt (German Edition)
alte Tulip spielt vor sich hin und bevorzugt dabei ihren eigenen Ball, den sie mit der Hingabe eines Welpen abwechselnd vor sich her schiebt und jagt. Tulips Übermut mag zwar extrem sein, aber die meisten erwachsenen Hunde lieben es auch weit in ihren reiferen Jahren noch, Spiele zu spielen. Und mich kann man in einem Atemzug nennen, ich freue mich genauso wie die Hunde über ein Spiel. Im Alter von dreiundfünfzig bin ich wohl kaum noch eine Jugendliche, aber ich spiele immer noch gerne. Genauso wie meine Freunde und wie die weltweite Gemeinschaft von Menschen und Hunden. Unsere Spezies ist vom Spiel besessen: Entweder wir machen selbst mit oder wir sehen anderen beim Spielen zu. Wir verwandeln jede neue Erfindung in ein Spielzeug. Schauen Sie sich Computer an – Maschinen, die für anspruchsvolle Datenverarbeitung, die ernsthafteste und langweiligste aller Aufgaben, gebaut sind – und aus denen man eine viele Milliarden Dollar schwere Industrie von Computerspielen gemacht hat. »Wer mit den meisten Spielsachen stirbt, gewinnt« ist nur deshalb lustig, weil es eine grundlegende Wahrheit für unsere Spezies unterstreicht: Wir sind auch noch lange nach dem Erwachsenwerden aufs Spielen fixiert.
Natürlich spielen wir mit dem Älterwerden weniger, als wir es als Kinder getan haben. Fast alle jugendlichen Säugetiere spielen, und zwar so viel, dass das Spiel die Jugend mehr als jede andere Aktivität kennzeichnet. Junge Lämmchen springen aus dem Stand in die Luft und drehen sich am höchsten Punkt des Sprungs auch noch um sich selbst. Einer Gruppe von ihnen dabei zuzusehen, wie sie abwechselnd in die Luft hüpfen und wieder herunterkommen, ist, wie die Zubereitung von Popcorn zu beobachten. Jährlinge der Gabelantilope veranstalten mit ihren Hörnern Scheingefechte. Katzen in allen Formen, von Hauskätzchen bis hin zu Tigerjungen, schieben alles herum, was sie mit ihren Tatzen erreichen können, von Blättern über Schmetterlinge bis hin zu zusammengeknülltem Papier. Junge Laborratten jagen und schubsen sich gegenseitig und zeigen ein Verhalten, das für jedermann auf der Welt wie Kitzeln aussieht. Zwei bis drei Jahre alte Schimpansen tun außer Fressen und Spielen kaum etwas. Manchmal spielen sie alleine, indem sie in Bäumen schaukeln oder im Kreis rennen, aber meistens spielen sie zusammen. Sie jagen sich, springen sich gegenseitig an, kämpfen spielerisch und ringen.
Bei den meisten Tieren nimmt die Häufigkeit des Spielens mit dem Älterwerden ab, bis es fast ganz aufhört. Aber solche Peter Pan-Spezies wie Menschen und Hunde behalten ihre verspielte Natur auch noch im Erwachsenenalter. Ich möchte dies nicht zu stark simplifizieren: Auch erwachsene Wölfe und Schimpansen spielen immer noch, aber nicht so häufig, wie man es bei Hunden und Menschen beobachten kann.
Diese Tendenz, das ausgiebige Spielen auch im Erwachsenenalter noch fortzusetzen, ist einer der Faktoren, warum die meisten Wissenschaftler Hunde und Menschen als »pädomorph« oder als verjugendlichte Varianten ihrer »erwachseneren« Verwandten betrachten. Pädomorphie ist die Beibehaltung jugendlicher Merkmale nach der Geschlechtsreife, die normalerweise verschwinden. Bei diesen Tieren wird der normale Entwicklungsprozess so lange aufgeschoben, dass sie in gewisser Hinsicht nie erwachsen werden. Fast jedes Tier, egal wie einfach strukturiert es ist, hat in seiner frühen Entwicklungsphase andere Merkmale als später nach der Geschlechtsreife. Manche dieser Merkmale sind körperlich – manche Insekten haben zum Beispiel als »Kinder« völlig andere Körperformen als als Erwachsene. Wir alle wissen, dass Raupen sich in Schmetterlinge verwandeln. »Juvenilisierte« Insekten haben sich in der Evolution so entwickelt, dass sie sich nie in ihre Erwachsenenform verwandeln; sie werden erwachsen, sehen aber noch wie Jugendliche aus.
Manchmal sind diese Merkmale aber auch am Verhalten festgemacht. Oft gibt es einen Zusammenhang zwischen Anatomie, Physiologie und Verhalten und Tiere, die nicht nur so aussehen, wie die jugendliche Version ihrer Vorfahren, sondern sich auch so benehmen, selbst, wenn sie erwachsen sind. Pädomorphie ist ein faszinierendes Phänomen der Evolution, dem ich, wie ich befürchte, hier in dieser Kürze nicht gerecht werden kann. Wichtig dabei für unsere Nachforschungen über Hunde und Menschen ist, wie Veränderungen im Entwicklungsprozess Tierarten hervorbringen können, die wie jugendliche Säugetiere auch mit dem
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