Das andere Kind
wäre
besser gewesen, er hätte seine Tochter zu irgendeinem früheren Zeitpunkt mit etwas Nachdruck
ins Leben geschubst, anstatt sie auf dieser abgelegenen Farm langsam vor sich hin welken zu
lassen. Schön, dass die beiden ein gutes Verhältnis haben, aber im Leben einer jungen Frau muss
es mehr geben. Na ja, nun scheint sie ja in die Gänge zu kommen. Hoffentlich ist der Typ in
Ordnung, den sie sich da geangelt hat. Sie ist so hoffnungslos unerfahren.«
»Spätestens am
Samstagabend werde ich mehr wissen«, meinte Leslie, dann wechselte sie abrupt das Thema.
Stephen stand ihr nicht mehr nah genug, als dass sie mit ihm über eine Freundin und deren
mögliche psychische Defizite hätte sprechen wollten. »Meine neue Wohnung ist übrigens
wesentlich kleiner als die jetzige«, sagte sie, »und ich kann daher nicht alle Möbel mitnehmen.
Wenn du dir etwas aussuchen möchtest, kannst du das gern tun.«
Er hatte damals bei
seinem Auszug nichts mitgenommen. Er hatte nichts gewollt. »Ich bin eigentlich inzwischen
komplett eingerichtet«, sagte er, »was sollte ich also noch holen?« »Den Küchentisch zum
Beispiel«, antwortete Leslie spitz, »der landet nämlich andernfalls beim Sperrmüll.«
Der schöne, etwas
wackelige alte Holztisch ... ihre erste gemeinsame Anschaffung, noch aus Studententagen. Sie
hatte so an ihm gehangen. Aber an diesem Tisch sitzend hatte er ihr damals seinen Fehltritt
gestanden, seine kurze, idiotische Affäre mit einer Gelegenheitsbekanntschaft aus einer Kneipe.
Nichts war danach mehr so gewesen wie zuvor. Leslie konnte bis heute den Tisch nicht ansehen,
ohne mit einem Würgen in der Kehle an jene Szene erinnert zu werden, die der Anfang vom Ende
gewesen war. Die brennende Kerze. Die Flasche Rotwein. Die Dunkelheit jenseits der Fenster. Und
Stephen, der unbedingt sein Gewissen erleichtern musste.
Manchmal in den
vergangenen zwei Jahren hatte sie gedacht, alles würde besser, wenn nur erst dieser Tisch
verschwunden wäre. Und hatte es dennoch nicht geschafft, ihn aus der Wohnung zu
verbannen.
»Nein«, meinte
Stephen nach einem Moment des Schweigens, »ich möchte den Tisch auch nicht.«
»Also dann«, sagte
Leslie.
»Liebe Grüße an Gwen«, sagte Stephen nur, und ohne eine weitere Verabschiedung
beendeten sie ihr Gespräch. Sie betrachtete sich in dem runden Spiegel, der ihr gegenüber an
der Garderobe hing. Sie sah dünn aus und ziemlich abgekämpft. Dr. Leslie Cramer, neununddreißig
Jahre alt, Radiologin. Geschieden. Das erste gesellschaftliche Ereignis, an dem sie nach ihrer Scheidung teilnehmen würde, war
ausgerechnet eine Verlobung.
Vielleicht
kein schlechtes Zeichen, dachte sie.
Obwohl sie
gar nicht an Zeichen glaubte. Alberner Gedanke.
Sie zündete
sich die nächste Zigarette an. Er sah sie im Licht der Hauslaterne auf sich zukommen und
dachte: Ach du lieber Himmel! Wahrscheinlich hatte sie Stunden mit der Überlegung verbracht,
wie sie sich besonders hübsch machen konnte, aber wie gewöhnlich war das Ergebnis einfach nur
schrecklich. Den geblümten Baumwollrock hatte sie, so mutmaßte er, wohl von ihrer verstorbenen
Mutter geerbt, jedenfalls schien er, sowohl was den Stoff als auch was den Schnitt betraf, aus
einer anderen, lang vergangenen Zeit zu stammen. Dazu trug sie ziemlich plumpe braune Stiefel
und einen ungünstig geschnittenen grauen Mantel, der sie, obwohl sie eigentlich recht schlank
war, dick wirken ließ. Eine gelbe Bluse lugte darunter hervor, und mit Gelb hatte sie
ausgerechnet die einzige Farbe erwischt, die in dem wildbunten Rock nicht vorkam. Was sie
nachher, wenn sie im Restaurant waren und sie den Mantel ablegte, wie ein Osterei würde
aussehen lassen.
Spontan
verwarf er den Plan, mit ihr nach Scarborough zu fahren. Zu peinlich, wenn sie jemanden trafen,
der ihn kannte. Irgendein Landgasthof war sicher geeigneter Er zerbrach sich den Kopf, ob ihm
eine Adresse einfiel und preiswert musste es auch noch sein. Sein Geld reichte wie immer vorne
und hinten nicht.
Sie lächelte.
»Dave!«
Er trat auf sie zu, schloss sie mit einiger Überwindung in die Arme und hauchte ihr
einen keuschen Kuss auf die Wange. Zum Glück war sie so weltfremd, dass sie wildes Geknutsche
oder gar Sex bislang weder zu vermissen schien noch jemals einforderte. Er wusste, dass ihre
bevorzugte L ektüre aus Liebesromanen in
Heftchenform bestand, und vermutete, dass er in seiner zurückhaltenden Art ziemlich genau dem
romantischen
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