Das andere Kind
versprochen hatte, sie werde wiederkommen und
sich um ihn kümmern. Wut und Verzweiflung mischten sich in ihr über der Erkenntnis, dass sie
all dem, was geschehen war, nie würde entrinnen können. Dass es von nun an immer ein Teil ihres
Lebens war.
»Ich weiß
nicht, wie ich damit umgehen soll, Stephen«, sagte sie und wusste zugleich, dass sie mit diesem
Ausspruch noch untertrieb. Sie hatte nicht einmal den Ansatz einer Idee, wie sie verarbeiten
könnte, was sie in den letzten Tagen erfahren hatte.
»Sie war meine Großmutter. Aber für mich ist sie ein Teufel. Vielleicht gelingt es
m ir, einiges zu verstehen, aber eines
werde ich nie begreifen: weshalb sie ihn nicht ein einziges Mal besucht hat! In all den vielen
Jahren. Semira Newton hat sie immer wieder darum gebeten. Warum hat sie es nicht getan? Warum
war sie nicht einmal dazu in der Lage, zu dieser kleinen Geste der
Menschlichkeit?«
Stephen zögerte. Er
wusste darauf nur eine einzige Antwort. Sie würde Leslie nicht zufriedenstellen und Fiona nicht
freisprechen, und doch schien es ihm die einzig richtige Antwort. »Weil niemand gern s einer Schuld in die Augen blickt«, sagte
er.
Langsam gingen sie zum Parkplatz
zurück. Blieben vor dem Teesalon stehen, in dem sich niemand aufhielt bis auf eine gelangweilt
wirkende Frau, die hinter der Theke ein paar Tassen abtrocknete. »Und was soll ich jetzt tun?«,
fragte Leslie. Stephen begriff, dass sie ihre Großmutter meinte. Es dauerte einen Moment, ehe
er zu sagen wagte, was er dachte: »Vergebung«, sagte er dann, »das ist auf die Dauer der
einzige Weg. Immer. Vergib ihr. Versuch es. Um deiner selbst willen.«
»Ja«, sagte Leslie, »versuchen kann ich
es.«
Sie blickte über den Hafen.
Sie spürte den Wind. Er brannte auf
ihren Wangen, als er ihre Tränen trocknete. Sie hatte nicht bemerkt, dass sie
weinte.
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