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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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Liebe. Das üb erwältigende Glücksgefühl nach Jahren der Entbehrung. Es
    klingt viel zu vollkommen, aber ich muss sagen, dass es sich genauso auch anfühlte, sicher
    verklärt durch die Neigung zum Idealisieren, der man in frühen Jahren gern anheim fällt. Heute
    denke ich, dass die Kieselsteine sicher schrecklich pieksten. Dass es nach Tang und Seegras
    stank. Dass vereinzelte Wolken über den Himmel zogen und die Sterne immer wieder verdeckten.
    Dass nicht eine einzige Sternschnuppe in die schwarzen Wellen fiel und dass es schließlich
    ziemlich kühl wurde und wir zu frieren begannen. Aber damals nahm ich nichts davon wahr. Es war
    wie ein Traum, durch nichts gestört, durch nichts getrübt. Die vollkommene Nähe zu Chad, die
    Verschmelzung mit ihm erschien mir wie der wunderbarste Moment meines Lebens. Und ich glaubte,
    naiv, wie ich trotz allem noch immer war, wir seien von nun an untrennbar miteinander
    verbunden.
    Chad hatte Zigaretten, und hinterher saßen wir noch eine Weile eng aneinandergeschmiegt auf dem
    Felsen und rauchten. Ich verschwieg, dass auch dies eine Premiere für mich war, um nicht allzu
    kindisch vor ihm dazustehen. Möglichst gelassen und selbstverständlich nahm ich meine Züge, und
    zum Glück musste ich nicht husten und verschluckte mich auch nicht. Chad hatte den Arm um mich
    gelegt. Lange Zeit sprach er kein Wort.
    Schließlich sagte er: »Mir wird kalt. Wollen wir zur Farm zurückgehen?«
    Da erst bemerkte ich, dass auch ich fror. Ich nickte, was er wohl schwach erkennen konnte, denn
    er stand auf, nahm meine Hand und zog mich ebenfalls auf die Füße. Schweigend, Hand in Hand,
    ertasteten wir den Weg durch die Schlucht. Oben angekommen, atmete ich auf: Nun schenkten
    Sterne und Mond wieder ein wenig Licht.
    Chad trug meinen Rucksack ins Haus. Es war
    dreckig dort, das erkannte ich auf den ersten Blick. Es roch auch
    nicht gut so als würden verderbliche Lebensmittel zu lange in der Küche gelagert. Es war klar,
    dass der äußere Verfall längst auch auf das Innere des Hauses übergegriffen hatte. Es war nicht
    mehr das zwar einfache und ärmliche, aber immer sehr behagliche Nest, das Emma geschaffen
    hatte. Es war kalt und feucht und schmuddelig. Selbst ich, die ich immer bereit gewesen war,
    die Beckett-Farm in nahezu jedem Zustand als Paradies auf Erden zu sehen, musste zugeben, dass
    man sich hier nicht mehr wohlfühlen konnte. Ich war fest entschlossen, gleich am nächsten Tag
    damit anzufangen, hier wieder alles schön und wohnlich herzurichten.
    Chad knipste das Licht in der Küche an. Dreckiges Geschirr stapelte sich in der Spüle, auf dem
    Tisch standen die Reste eines halb aufgegessenen Abendessens.
    »Mein Vater ist offenbar schon ins Bett gegangen«, sagte Chad. »Leider bringt er meist nicht
    einmal mehr die Energie auf, seinen Fraß beiseitezuräumen!«
    Angewidert starrte er auf die angebissene Salamiwurst, das Brot, aus dem Stücke herausgebrochen
    statt Scheiben abgeschnitten worden waren, und auf eine Tasse, die halb mit Kaffee gefüllt war,
    auf dessen Oberfläche Fettaugen schwammen. »Es wird jeden Tag schlimmer mit ihm!«
    »Ich räume das weg«, bot ich sogleich an, aber er hielt mich am Arm fest.
    »Nein! Ich räume nicht hinter ihm her, und du wirst es auch nicht tun! Er ist nicht krank, er
    lässt sich bloß gehen, und ich habe dafür überhaupt kein Verständnis mehr.«
    »Das Zeug wird schlecht, und es stinkt. Lass mich doch die Wurst in den Kühlschrank
    legen!«
    Es gab einen altmodischen Kühlschrank auf der Farm, der regelmäßig mit
    angelieferten Eis blöcken gefüllt werden musste, aber wie sich herausstellte, hatte wohl schon lange niemand mehr Eis bestellt, denn der
    Schrank war so warm wie der ganze übrige Raum. Es lagen ein paar undefinierbare Dinge darin,
    die widerlich rochen und die man längst hätte wegwerfen müssen.
    Chad wirkte ein wenig verlegen. »Die Farm kostet mich alle Zeit und Kraft. Um das Haus müsste
    Dad sich kümmern, aber ... « Er sprach den Satz nicht zu Ende. Es war ja auch allzu
    offensichtlich, dass sich sein Dad eben nicht kümmerte.
    Ich brachte Wurst und Brot schließlich in die Speisekammer, die fensterlos, dunkel und ein paar
    Grad kühler war als das Haus.
    »Morgen müssen wir unbedingt Eis bestellen«, sagte ich in einem Ton, als sei ich schon die
    Hausfrau auf der Farm.
    Chad stimmte zu. »Ich werde das tun. Versprochen.«
    Wir standen einander gegenüber, sahen uns an. Ich dachte: Sag jetzt, dass du mich

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