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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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sich gewehrt haben. Geschrien. Gekämpft. Die Beckett-Farm war
    sein Zuhause, der einzige Ort vermutlich, an dem er sich sicher fühlte und vielleicht sogar so
    etwas wie Geborgenheit empfand. Chad und Arvid hatten ihn einem ihm wildfremden Mann sozusagen
    in die Hände gedrückt und ihn fortgeschickt. Ich kannte Nob ody und
    seine heftigen emotio nalen Ausbrüche. Und ich musste nur zu Chad
    hinschauen, der mir nicht mehr in die Augen sehen konnte.
    Es musste sich eine entsetzliche Szene abgespielt haben.
    Ich schluckte. »Aber ... «
    Chad fuhr zu mir herum, und jetzt war sein Gesicht ganz verzerrt vor Wut.
    »Verdammt, jetzt spiel hier bloß nicht den Moralapostel !«, fauchte er,
    obwohl ich außer einem zaghaften Aber gar
    nichts gesagt hatte. »Du hast uns das alles eingebrockt! Du hast ihn doch angeschleppt! Du
    warst jahrelang nicht hier, du weißt überhaupt nicht, was ich auf mich zukommen sah mit diesem
    großen und zugleich vollkommen schwachsinnigen Geschöpf! Und dich hätte auch niemand zur
    Verantwortung gezogen. Du warst ein Kind, und jetzt bist du gerade mal eben siebzehn geworden.
    Du bist doch fein heraus! Aber was weiß ich denn, welchen Ärger wir gekriegt hätten, mein Vater
    und ich! Nobody hätte in eine Schule gehört, die auf Kinder wie ihn spezialisiert ist. In ein
    Heim. Er hätte von Fachleuten betreut und gefördert werden müssen. Stattdessen ist er hier zu
    einer Art wildem Tier herangewachsen. Die hätten uns die Hölle heißmachen können. Am Ende wären
    wir vor einem Gericht gelandet!«
    Seine Stimme wurde etwas leiser. »Schau dich doch um, Fiona«, sagte er bitter, »wir kämpfen
    hier ums Überleben. Mein Vater hat nach Mums Tod praktisch nichts mehr gemacht, und ich war an
    der Front. Alles ist verwahrlost und kaputt, und wir haben bei Gott und der Welt Schulden. Ich
    will das Land nicht verkaufen müssen. Ich schufte von morgens bis abends. Ich kann einfach
    nicht noch irgendeinen weiteren Ärger gebrauchen. Keine behördliche Untersuchung, die es am
    Ende notwendig macht, dass ich mir einen Anwalt nehmen muss, den ich überhaupt nicht bezahlen
    kann. Nur weil ich Nobody in ein Heim stecke und damit seine Existenz öffentlich mache. Und ihn
    hierbehalten? Soll ich warten, bis er eine Frau vergewaltigt? Soll ich warten, bis er
    irgendjemanden erschlägt, weil der vielleicht etwas hat, was er gern haben möchte? Was erkläre
    ich denn dann der Polizei? Es ist leicht, Fiona, jetzt die Augenbrauen hochzuziehen, aber was
    hättest du denn an meiner Stelle getan?« Ich stand auf, trat auf ihn zu. Ich wollte ihm zeigen,
    dass ich ihn verstand, dass ich nicht gegen ihn war. Ich liebte ihn doch! »Entschuldige«, sagte
    ich, »ich wollte dir nicht das Gefühl geben, dass ich dich verurteile. Wie könnte ich auch? Du
    hast dir die Entscheidung sicher nicht leicht gemacht.«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Hab ich nicht.«
    Wir standen dicht voreinander. Ich merkte, dass Chad bebte. Ich wollte eine
    Frage stellen, befürchtete jedoch, dass diese zu einem neuerlichen Wutausbruch führen würde.
    Denn sie begann schon wieder mit einem Aber. Trotzdem wagte ich es.
    »Aber ... wieso lässt sich dieser Gordon McBright dann darauf ein? Er könnte doch auch in
    Schwierigkeiten kommen, wenn Nobody etwas anstellt.«
    Chad zuckte mit den Schultern. »Haben wir ihm auch gesagt. Aber er meinte, das würde ihm kein
    Kopfzerbrechen bereiten.«
    »Er kann ihn doch nicht ständig einsperren. Oder festbinden.«
    Chad zuckt abermals mit den Schultern, biss sich aber zugleich auf die Lippen. Ich hatte
    plötzlich den Eindruck, dass hier seine Befürchtungen lagen, über die er nicht sprechen wollte:
    dass nämlich Gordon McBright genau dies tun würde. Nobody einsperren oder festbinden, wann
    immer er ihn nicht zum Arbeiten brauchte. Ihn halten würde wie einen Sklaven.
    »Wie ... ist dieser Gordon McBright so?«, fragte ich nervös.
    »Ich kenne ihn ja im Grunde gar nicht«, erwiderte Chad und starrte zum Fenster hinaus in die
    Nacht.
    »Aber du hast ihn erlebt.«
    Es war deutlich, dass Chad diese Frage einfach nicht beantworten wollte. »Ist doch egal.« »Wo
    lebt er«
    »In der Gegend von Ravenscar. Außerhalb. Auf einer abgeschiedenen Farm.« Ravenscar lag nicht
    allzu weit entfernt von Staintondale, ein Stück die Küste hinauf in Richtung Whitby.
    »Ich könnte ihn doch mal besuchen«, schlug ich vor. »Nobody, meine ich. Und dabei McBright
    kennenlernen.«
    »Tu es nicht! Nobody dreht wieder

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