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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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führte
    recht steil nach unten zur Stadtmitte hin. Rechts oberhalb von sich auf einem Berg konnte
    Leslie die berühmte Abtei sehen.
    Sie wusste kaum noch, wie der gestrige Tag
    vergangen war.
    Sie war in Fionas Wohnung gewesen, hatte
    geraucht, hatte aus dem Fenster gestarrt. Irgendwann war sie zu einem Spaziergang aufgebrochen,
    war ein oder zwei Stunden am Strand entlanggelaufen, bis hinüber in die Nordbucht und wieder
    zurück, hatte sich schließlich ein Ticket für die Gondel vom Spa Complex hinauf zur
    Prince-ofWales-Terrace genommen. Sie hatten zu fünft in der Kabine auf der Holzbank gesessen,
    während sie die steil nach oben verlaufenden Schienen entlangtransportiert wurden. Leslie
    erinnerte sich an das Gefühl, mit den anderen Menschen, mit denen sie sich hier auf engem Raum
    befand, nichts mehr gemein zu haben. Zu viel Schreckliches war geschehen.
    Chad war tot. Sie wusste, dass er noch
    gelebt hatte, als sie mit Gwen das Haus verlassen hatte, denn sie hatte ein leises Stöhnen von
    ihm vernommen. Als Valerie Almond und Stephen eintrafen, hatte Stephen nur noch seinen Tod
    feststellen können. Er war verblutet. Er hätte gerettet werden können, wäre ihm früher geholfen
    worden.
    Gwen Beckett war von DI Almond ins Bein
    geschossen worden. Sie lag im Krankenhaus, würde jedoch bald entlassen werden können. Sie sah
    einem Gerichtsverfahren wegen zweifachen Mordes und wegen eines versuchten Mordes sowie wegen
    Freiheitsberaubung und Nötigung entgegen. Die Frage war, ob ein psychiatrisches Gutachten sie
    für schuldfähig erklären würde. Leslie hielt es für wahrscheinlich, dass sie nicht im
    Gefängnis, sondern in der Psychiatrie landen würde. Vielleicht für immer.
    Den ganzen gestrigen langen Tag über hatte
    sie immer wieder die Szene auf der Brücke vor sich gesehen. Das grelle Licht der Lampe. Gwen,
    die zu ihren Füßen zusammenbrach. Jennifer Brankley, die, nur als Schatten sichtbar, ein Stück
    entfernt stand und sich offenbar, nachdem der Schuss gefallen war, nicht mehr bewegen konnte.
    Und Valerie Almond, die als rettender Engel aus der Dunkelheit auftauchte und beruhigend sagte:
    »Sie ist nur leicht verletzt. Keine Sorge. Ich habe sie nur leicht verletzt.« Womit sie Gwen
    gemeint hatte. Und Leslie entsann sich, dass sie aufgesprungen war und gerufen hatte: »Wir
    müssen in die Bucht hinunter! Schnell! Dave Tanner liegt dort. Sie hat auf ihn geschossen!
    Schnell! Schnell!«
    Sie hatte das wohl mehrmals wiederholt, und
    schließlich hatte Valerie Almond ihr die Hand auf die Schulter gelegt, ihr fest in die Augen
    gesehen und mit sehr klarer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, gesagt: »Wir kümmern uns um
    ihn. Okay? Sie steigen da jetzt nicht hinunter. Meine Leute sind gleich hier. Machen Sie sich
    keine Sorgen.«
    Dunkel war in ihr das Bild, wie sie auf der
    Beckett-Farm gesessen hatte, um sie herum hatte es gewimmelt von Polizeibeamten und Sanitätern,
    jemand hatte ihr eine Decke um die Schultern gelegt und einen Becher mit heißem, stark gesüßtem
    Tee in die Hand gedrückt. Stephen war zu ihrer Überraschung da gewesen, und er war es auch
    gewesen, der ihr schließlich die Nachricht übermittelt hatte, dass Tanner verletzt, aber lebend
    geborgen worden war.
    »Er kommt durch. Aber
    er hat Glück gehabt. Er war ohnmächtig geworden. Die Flut hätte ihn geholt im Lauf der Morgenstunden.«
    Stephen hatte sie irgendwann spät in
    der Nacht zu Fionas Wohnung gebracht, war selbst auch dort geblieben. Sie hatte sich nicht
    dagegen gewehrt, sie hatte das Gefühl gehabt, zu kraftlos zu sein, um sich jemals wieder gegen
    irgendetwas oder irgendjemanden wehren zu können. Er hatte sie gefragt, ob er Fionas Briefe
    lesen dürfe, und sie hatte genickt. Es würden nun sowieso alle erfahren, warum nicht auch er?
    Sie hatte ihm später selbst noch von Semira erzählt und von Brian, der so nah bei Scarborough
    lebte und den zu besuchen sich Fiona offenbar nie hatte überwinden können.
    Am Nachmittag dann hatte sie ein
    langes Gespräch mit Valerie Almond geführt. Die Beamtin war direkt aus dem Krankenhaus
    gekommen, wo sie mit Dave Tanner geredet hatte.
    »Er hat wirklich Glück gehabt. Er
    hätte verbluten oder ertrinken können. Für ihn ist die ganze Geschichte nur haarscharf gut
    ausgegangen.«
    Dave war von jedem Verdacht befreit,
    dennoch hatte Leslie es hören wollen: »Wo ist er denn nun gewesen? Samstagnacht. Wenn nicht bei
    seiner Exfreundin?«
    »Die beiden waren zusammen in

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