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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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Schlimmeres passieren kann.
    Sie hatte immer Mitleid mit Gwen gehabt. Sie immer beschützen wollen. Aber sie war realistisch
    genug zu wissen, dass Gwen ihre Zuneigung nie wirklich erwidert hatte. Für Gwen war sie ein
    zahlender Feriengast gewesen. Und ein Mensch, der hin und wieder ein wenig Abwechslung in ihr
    Leben brachte. Aber Wärme und Freundschaft hatte sie nie von ihr ausgehend empfunden. Sie hatte
    überhaupt keine Wärme in Gwen gespürt. Das nette Lächeln war nie von Herzen
    gekommen.
    Jennifer folgte dem Trampelpfad, der sich abwärtswand, ehe er wenig später vor dem schroffen
    Felsen der Schlucht enden würde. Dann kam die Hängebrücke. Und dann die in Fels gehauenen,
    ungleichmäßigen Stufen, deren Höhe und Abstand unberechenbar variierten. Sie würde sie fast
    blind nehmen müssen.
    Sie hatte das Ende des Pfades noch nicht erreicht, als sie den Lichtschein wahrnahm, der vor
    ihr aus der Dunkelheit leuchtete. Sie konnte seine Herkunft nicht genau ausmachen, aber sie
    hatte den Eindruck, dass er entweder von jenseits der Schlucht oder von dem letzten Stück der
    Hängebrücke kommen musste. Das Licht bewegte sich nicht.
    Jennifer blieb stehen. Mit größter Anspannung versuchten ihre Augen die
    Dunkelheit zu durchdringen. Sie konnte nichts erkennen, sie war zu weit entfernt. Sie musste
    sich näher an das Objekt herantasten, von dem sie vermutete, dass es sich um eine Taschenlampe
    handelte. Aber warum schien sie sich nic ht zu bewegen? Hatten die
    Per sonen dort vorn - und es konnte sich nur um entweder Gwen oder
    Leslie oder Dave oder um alle drei zusammen handeln - bereits ihr Ziel erreicht? Oder hatten
    sie bemerkt, dass sie verfolgt wurden, und warteten nun?
    Aber dann hätten sie das Licht ausgeschaltet, dachte Jennifer.
    Mit angehaltenem Atem schlich sie näher.
    Als sie die Hängebrücke erreicht hatte, konnte sie die Szenerie erkennen, und was sie sah,
    bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen: Die Taschenlampe war auf einem Felsen jenseits der
    Schlucht platziert worden und tauchte ein gespenstisches Bild in ihr starkes, fast gleißendes
    Licht. Leslie Cramer stand fast am Ende der Brücke mit dem Rücken an das aus geflochtenen
    Seilen bestehende Brückengeländer gelehnt. Vor ihr Gwen. Sie hatte eine Waffe in der Hand, die
    sie auf Leslie richtete. Die beiden Frauen starrten einander an, bewegungslos,
    sprachlos.
    Dann sagte Gwen plötzlich: »Jetzt spring endlich!«
    Und Leslie erwiderte: »Nein. Ich werde da nicht hinunterspringen. Du bist verrückt, Gwen. Ich
    werde nicht tun, was mir eine Verrückte sagt.«
    »Ich werde dich erschießen«, sagte Gwen, »und dann hinunterwerfen. Ich würde es mir überlegen,
    Leslie. Wenn du von selbst springst, hast du vielleicht eine Chance.«
    »Ich habe keine Chance, wenn ich in diesen Abgrund springe«, erwiderte
    Leslie. Gwen hob den Arm. Das leise Klicken, mit dem sie die
    Waffe spannte, war durch die vollkommene Stille der Nacht zu
    hören.
    »Bitte«, flehte Leslie.
    Jennifer trat einen Schritt nach vorn. »Gwen«, rief sie. Gwen fuhr herum.
    Sie blickte in die Richtung, aus der sie ihren Namen gehört hatte, aber sie schien nicht
    erkennen zu können, wer sie rief .
    »Wer ist da?«, fragte sie mit scharfer Stimme.
    Jennifer betrag die Brücke. Sie wusste, dass das Schwanken ihr Näherkommen verriet, aber sie
    wusste auch, dass Gwen sie nicht so einfach abknallen konnte, da die Dunkelheit sie
    schützte.
    »Ich bin es«, sagte sie. »Jennifer.«
    »Komm keinen Schritt näher!«, warnte Gwen.
    Jennifer blieb stehen. Sie war jetzt nah genug, um das angststarre Gesicht von Leslie erkennen
    zu können, das von der Lampe angestrahlt wurde. Gwens Züge blieben im Schatten.
    »Gwen, sei vernünftig«, bat Jennifer. »Colin ist auf der Farm. Er telefoniert mit der Polizei.
    Es wimmelt hier gleich von Beamten. Du hast gar keine Chance, also lass Leslie gehen. Sie hat
    dir nichts getan.«
    »Sie hat mich genauso hängen lassen wie ihr alle«, sagte Gwen.
    »Aber es ist keine Lösung, die Menschen einfach zu erschießen, mit denen man Probleme hat.
    Bitte, Gwen. Lass die Waffe fallen und komm zu mir.«
    Gwen lachte. Ein hässliches, aber auch trauriges Lachen. »Das könnte dir so passen, Jennifer.
    Ich kann dir nur raten, verschwinde, sonst bist du als Nächste fällig! Misch dich nicht in
    Dinge ein, die dich nichts angehen. Geh zurück zu deinem Colin und zu deinen Kötern und führe
    wieder dein sattes und selbstgefälliges Leben. Lass die

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