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Das andere Ufer der Nacht

Das andere Ufer der Nacht

Titel: Das andere Ufer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Gruß.
    Vor ihnen blieb das Mädchen stehen. Es roch nach Lavendel, ein angenehmer Geruch, nicht zu vergleichen mit dem Gestank der blakenden Fackeln, der durch den Ort wehte.
    »Du willst uns führen?« fragte Bill.
    »Ja.«
    »Weshalb? Wer bist du?«
    »Ich heiße Viviana.«
    »Und wohnst hier?« Diese Frage hatte Suko gestellt.
    »Nein und ja. Aber das ist nicht wichtig. Vertraut euch mir an, ich zeige euch das Beinhaus.«
    Obwohl die beiden Männer eigentlich hätten froh sein können, blieb bei ihnen doch ein gesunder Rest von Misstrauen. So einfach und ohne Gegenleistung hatte man es ihnen selten gemacht. Suko wollte wissen, ob Viviana nicht vermisst wurde.
    »Nein.«
    »Alle anderen sind auf dem Weg zum Feuerwerk.«
    »Ich nicht.« Sie schüttelte ihren Kopf. »Ich brauche es nicht.« Das Mädchen sprach leise, beinahe flüsternd, trotzdem gut zu verstehen, ähnlich wie eine Schauspielerin auf der Bühne, wenn sie einen Text nur flüstert und trotzdem in der letzten Reihe zu verstehen ist.
    »Zu wem gehörst du?« wollte Bill wissen.
    »Nicht zu den anderen. Entweder vertraut ihr mir, oder ich gehe wieder. Es bleibt euch überlassen.«
    Die beiden schauten sich gegenseitig an. Suko nickte schon, doch Bill fragte: »Und was ist mit John?« Der Reporter hatte englisch gesprochen, weil Viviana ihn nicht unbedingt verstehen sollte.
    »Er wird sich allein zu helfen wissen. Die Burg ist nicht weit, schließlich hat man ihn eingeladen…«
    »Das schon.« Bill kratzte sich hinter dem Ohr. »So ganz traue ich dem Frieden nicht.«
    »Es ist besser, als hier herumzustehen oder selbst den Weg zu den Knochen zu suchen.«
    »Okay, wir geben mit.«
    Viviana wartete etwas abseits. Als die beiden Männer auf sie zukamen, erkundigte sie sich nach deren Namen. Die Besucher aus England stellten sich vor, und das Mädchen nickte so wissend, als hätte es nichts anderes erwartet. »Ich darf euch führen?«
    Bill lachte leise. »Das musst du sogar. Aber sag uns vorher bitte, wie viele Männer sich bereitgemacht haben, um die Knochen zu holen und aus welch einem Grund sie es tun.«
    Die Antwort des Mädchens drang den beiden wie ein wispernder Hauch entgegen. »Weil in dieser Nacht die Barke fertig werden muss.«
    »Das haben wir schon einmal gehört«, sagte Bill schnell, der sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben wollte. »Ich möchte gern wissen, welchen Zweck die Barke erfüllt.«
    Die Augen des Mädchens bekamen einen übernatürlichen Glanz. »Sie wird ihren Fahrgast an das andere Ufer der Nacht führen.«
    Der Reporter tauschte mit Suko einen verständnislosen Blick. »Das andere Ufer der Nacht, verstehst du das?«
    »Noch nicht.«
    »Was ist es, rede!«
    Viviana schüttelte den Kopf. »Nein, ich werde es euch nicht sagen. Vielleicht erlebt ihr es. Vielleicht…« Sie verzog die Lippen zu einem wissenden und gleichzeitig geheimnisvollen Lächeln, bevor sie sich umwandte und einfach wegging.
    So blieb Suko und Bill nichts anderes übrig, als ihr zu folgen, wenn sie mehr über diese geheimnisvolle Totenbarke erfahren wollten. Sie nahmen nicht den gleichen Weg wie die Bewohner, die längst das Dorf hinter sich gelassen hatten. Viviana führte die beiden Männer hinter die Herberge, wo sie einem schmalen, sehr steinigen Weg erreichten, der von den Häusern wegführte und sich einem Hang näherte. Er wirkte wie ein langes, von oben nach unten ausgebreitetes Schattentuch. Sie schritten in die dunkle, noch warme, spanische Nacht hinein, wo der von der Sierra einfallende Wind ihnen den trockenen, feinen Staub entgegenblies und sie umsäuselte.
    Nur ihre Schritte waren zu hören. Beide Männer wunderten sich darüber, wie leichtfüßig Viviana vor ihnen herlief. Sie hatte ihre Mantilla vom Kopf rutschen lassen, so dass sie jetzt über der Schulter lag und vom Wind bewegt wurde. Auch der lange Rock flatterte. Manchmal wischte er mit seinem Saum über den Grund, wenn er besonders uneben war.
    »Fällt dir eigentlich auf, dass wir in die gleiche Richtung laufen, in die auch John verschwunden ist?« fragte Bill.
    »Das habe ich schon bemerkt.«
    »Ob wir ins Schloss sollen?«
    Suko wollte es nicht glauben. »Ich weiß nicht so recht, ob wir da die Knochen finden.«
    »Denk an die Folterkeller dieser alten Burgen. Darin ist so manches Geheimnis verborgen.«
    »Lass dich doch überraschen!«
    »Tu ich auch.«
    Der schmale Weg führte nicht den dunklen Schattenhang hoch, sondern an ihm vorbei. Er lief praktisch parallel mit ihm, aber

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