Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
zumindest zu ermöglichen, Schlüsse in der richtigen Richtung zu ziehen.
Mit Friedlein gab sie sich erst gar nicht ab. Er erwiderte ihren forschenden Blick mit so viel Mutwillen, dass sie sicher sein konnte, er würde sie absichtlich auf eine falsche Fährte locken. Der junge Vikar des Pflegers schied auch aus. Er wirkte allenfalls erschöpft und dachte vermutlich an sein weiches Lager. Verstohlen betrachtete sie Albrecht, sodass er ihren Blick nicht bemerkte. Sein Gesichtsausdruck wechselte im Spiegel seiner Gedanken. Erst runzelte er sorgenvoll die Stirn, dann wieder schien er erleichtert. Doch der rasche Blick, den er dem Bischof zuwarf, wirkte verstimmt. Elisabeth wandte sich kurz ihrem Vater zu. Er war wie ein offenes Buch und schien keinen Grund zu sehen, seine gute Laune zu verbergen. Er aß, trank und scherzte und schien sich recht wohl in seiner Haut zu fühlen. Da Elisabeth ihn sich zwar als Intriganten, nicht aber als Komödianten vorstellen konnte, war sie geneigt anzunehmen, dass das Ergebnis im Sinne des abgesetzten Bischofs ausgefallen war. Zögerlich wandte sie sich auf die andere Seite und begegnete Dompropst von Grumbachs Blick. Er musste sie bereits eine Weile beobachtet haben, denn nun zeigte er wieder dieses irritierende Lächeln und neigte sich ein wenig zu ihr, sodass sie seine leisen Worte verstehen konnte.
»Und, zu welchem Schluss seid Ihr gekommen, Jungfrau Elisabeth? Lasst mich hören, wie gut Eure Beobachtungsgabe ist, die Wahrheit aus dem zu schließen, was nicht gesagt wurde.«
»Ich denke nicht, dass Euch das etwas angeht. Wenn Ihr mir etwas darüber sagen wollt, was beschlossen wurde, dann bitte; ich höre.«
»Wie gnädig«, spottete er.
»Und wenn nicht«, fuhr sie ungerührt fort, »dann kann ich meine Überlegungen genauso gut für mich behalten wie Ihr.«
»Warum nur steigt in mir der Verdacht auf, Ihr seid erzürnt?«
Elisabeth konnte ein Schnauben nicht unterdrücken. »Vielleicht weil es auch mich betreffen könnte und ich ein Recht habe, ebenfalls Bescheid zu wissen?«
Der Dompropst wiegte den Kopf. »Das Erstere könnte durchaus stimmen, doch beim Zweiten bin ich der altmodischen Ansicht, dass es nur schadet, wenn Weiber zu viel wissen. Bevor Ihr mich aber mit dem spitzen Messer in Eurer Rechten ermordet, sage ich Euch zumindest, dass noch nichts entschieden ist. Euer Albrecht ist eine härtere Nuss, als es sich der Bischof wohl vorgestellt hat. Es braucht noch eine Weile, seine Schale zu knacken. Dennoch ist Euer Herr Vater zuversichtlich und durchaus guter Dinge, wie Euch nicht entgangen sein kann.«
»Aber auch Ihr seht mir zufrieden aus.«
»Ja, es bahnt sich da etwas an, das mir durchaus zusagt. Und wisst Ihr, was das Amüsante ist? Dass Ihr mir dabei in die Hände spielt, auch wenn Euch das nicht bewusst ist und Ihr es sicher nicht begrüßt.«
Das Mahl ging zu Ende, und Bischof von Brunn schickte seine Tochter ebenso energisch wieder hinaus wie am frühen Abend. Eine Weile hielt sich Elisabeth noch wach und lauschte auf den Gang hinaus, ob die Männer nun endlich zu einer Einigung gekommen seien, doch nichts drang durch die dicken Türen des Saals. Wobei sich die Frage stellte, worüber sie sich eigentlich einigen mussten. War nicht alles klar geregelt? Waren nicht unzählige Urkunden aufgesetzt und gesiegelt worden? Was gab es nun schon wieder zu entscheiden? Warum sprach Albrecht überhaupt mit ihrem Vater und nahm gar den langen Weg bis zum Zabelstein auf sich? Dass er sich mit dem Dompropst in vielen Dingen besprechen musste, war klar, doch ihr Vater? Hatten sie ihn nicht bewusst von allen Entscheidungen, die das Land betrafen, ausgeschlossen? Das
war natürlich nicht im Sinne des Bischofs. Er wollte nach wie vor mitreden und Einfluss nehmen, das konnte sie nicht verwundern, aber warum sollte Albrecht dem nachgeben? Die Gedanken drehten sich im Kreis und wurden immer wirrer. Irgendwann schlief sie ein.
Als Elisabeth erwachte, war es still auf der Burg. Draußen vor den verhängten Fenstern erhellte sich der Himmel erst zögerlich. Rasch ließ sie sich ankleiden und eilte den Gang entlang. Der Saal war leer, die Spuren des gestrigen Mahls von den Dienern bereits getilgt. Schliefen die Herren noch? Verständlich, nachdem es in der Nacht so spät geworden war.
Elisabeth holte sich ihren warmen Umhang, stieg die Treppe hinunter und trat in den Hof. Zu ihrer Überraschung kam ihr Friedlein entgegengehinkt. Man merkte ihm die kurze Nachtruhe nicht an.
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