Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
glaube, in diesem steinernen Gelass mit dem Lärmen des Stößels im Mörser brauchen wir keine Lauscher zu fürchten.«
»Was wollt Ihr damit andeuten?«, erwiderte Elisabeth spitz, obwohl sie genau wusste, worauf er anspielte.
Ein Zug von Traurigkeit huschte über seine Miene. »Ihr habt kein Vertrauen zu mir. Wie schade. Ich dachte, wir seien während dieser Tage unter unserer gemeinsamer Hände fruchtbarer Arbeit Freunde geworden.«
»Natürlich sind wir Freunde!«, rief Elisabeth. »Daran dürft Ihr nicht zweifeln, Meister Thomas.«
Er wandte seinen Blick wieder auf die trockenen Blätter in seinem Mörser. »Gehört es sich nicht unter Freunden, dass man sich die Wahrheit sagt?«
»Was ist die Wahrheit?«, konterte Elisabeth. »Graf von Wertheim hat mich zur Geisel gemacht, um sich seinen Weg in die Freiheit zu erkämpfen. Er hat mir kein Haar gekrümmt, und obwohl ich den ein oder anderen Augenblick zweifelte und mich fürchtete, das gebe ich zu, bin ich dennoch der Überzeugung, er hatte niemals vor, mir etwas anzutun.«
Meister Thomas nickte bedächtig. »Ja, das ist sicher ein Teil der Wahrheit. Der andere ist, dass Ihr einen mutigen Schritt gewagt habt, um Unrecht in Recht zu wandeln, und Euch dabei nicht gescheut habt, den Zorn Eures Vaters auf Euer Haupt zu laden und gar Euer eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Das war sehr edel von Euch«, wiederholte er seine Worte, und dieses Mal widersprach Elisabeth nicht.
»Es haben sich noch nicht alle auf dem Zabelstein Gedanken darüber gemacht, wie es überhaupt zu dieser Situation kommen konnte. Ich werde behaupten, dem Gefangenen lediglich etwas zu Essen gebracht zu haben. Es ist nicht nötig, dass man meinen Vater direkt darauf stößt. Zumindest nicht, solange sein Zorn derart heiß lodert!«
Meister Thomas stimmte ihr zu. »Ja, aber wird nicht der Wächter, den Ihr auf irgendeine Weise losgeworden seid, eine andere Geschichte berichten?«
»Ich nehme nicht an, dass der Mann direkt mit dem Bischof spricht, und hoffe, es ist dem von Schwarzenberg zu heikel, vor meinem Vater zu behaupten, es wäre Absicht statt Leichtsinn hinter meiner Handlung zu vermuten.«
Meister Thomas dachte eine Weile darüber nach, dann nickte er. »Ja, es ist gut möglich, dass diese Überlegung aufgeht. Wenn einer dem Bischof reinen Wein einschenken könnte,
dann ist es der Narr. Es drängt sich mir der Eindruck auf, er habe nicht nur ein scharfes Auge, dem nichts auf der Burg entgeht. Ich behaupte, er besitzt einen ebenso scharfen Verstand.«
Elisabeth unterdrückte einen Seufzer. »Da habt Ihr recht. Er hat mich bereits bei meinem ersten Versuch aufgehalten und mich seitdem im Auge behalten. Nur der glückliche Umstand, dass er die Burg verlassen musste, gab mir überhaupt die Möglichkeit. Allerdings hätte er schon damals zu meinem Vater sprechen können, wenn er gewollt hätte. Bislang hat Friedlein dies unterlassen. Daher hoffe ich, dass er bei seinem Schweigen bleibt.«
»Das wäre von Vorteil«, meinte auch Meister Thomas. Er prüfte die zerstoßenen Blätter, nickte zufrieden und füllte sie dann sorgsam in eine Holzschachtel. Er trat damit zu seiner Waage, legte das benötigte Gewicht in die eine Schale und füllte dann die andere mit dem zerstoßenen Pulver, bis der Balken in die Waagerechte schwang. Elisabeth reichte ihm die fetthaltige Grundmasse der Salbe, die sie währenddessen geschmeidig gerührt hatte, sodass der Apotheker zuerst die zerstoßenen Heilkräuter und dann den ebenso sorgsam abgewogenen Schwefel hinzugeben konnte.
»Hoffentlich hilft es«, meinte Elisabeth mit einem Blick auf die graugelbe Masse.
»Das hoffe ich auch«, stimmte ihr der Apotheker zu. »Euer Vater hat schon so viel versucht, um die offenen Stellen an seinen Beinen, die immer wieder jucken und nässen, ausheilen zu lassen, doch die Salben der Ärzte waren nicht von großer Wirkung. Ich glaube, dass diese hier ihm helfen wird, aber streng genommen dürfte ich sie ihm nicht verabreichen.«
»Warum denn nicht? Wenn Ihr doch davon überzeugt seid, dass sie ihm guttut?« Elisabeth sah ihn verständnislos an.
»So einfach ist es nicht. In den Städten ist die Teilung der Aufgaben ganz genau geregelt. Dies hier ist keine Mischung,
die sein Arzt auf einem Rezept notiert hat, aber nur nach diesen Anweisungen dürfen wir Apotheker die Heilmittel herstellen. Es ist nicht an uns, dem Patienten ein Mittel unserer Wahl zu verabreichen. Wären wir hier in Würzburg, dann könnte ich mir
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