Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
gefährlicher und zäher denn gedacht. Sie hielten sich nicht an die Regeln, wie Kriegszüge seit Jahrhunderten gehandhabt wurden! Sie kämpften in kleinen, disziplinierten Gruppen, die wie Speerspitzen unvermittelt zustießen und verlustreiche Lücken in die Flanken der Heeraufstellung stießen. Sie bauten Wagenburgen, in denen sie sich verschanzten und an die die Ritter und ihr Fußvolk nur schwer herankamen. Und wenn es eng wurde, dann verschwanden sie in den Wäldern oder in ihren exzellent befestigten Stadtburgen, schneller noch, als sie aufgetaucht waren. Nein, so einfach war ihnen nicht beizukommen,
vor allem, da ein großer Teil der Bevölkerung mit ihnen sympathisierte.
Und dann passierte die Katastrophe. Das christliche Heer war aufgebrochen, die Hussiten auf dem Feld zu stellen. Ein Teil des Trosses – unter ihnen auch Elisabeth – war auf der Prager Burg zurückgeblieben, wo sie später ihren Sieg feiern wollten. Doch die Hussiten dachten gar nicht daran, sich diesem Kampf in einer Weise zu stellen, die dem Ritterheer von Vorteil gewesen wäre. Zusammen mit den Prager Bürgern, denen der König des heiligen römischen Reiches und seine Fürsten schon lange verhasst waren, schlossen sie die Burg Hradschin ein, selbst eine kleine Stadt auf dem Hügel über Prag, die – voll von Flüchtlingen und Anhängern des Königs – aus den Nähten zu platzen drohte. Wie sollten sie einer Belagerung standhalten?
Elisabeth sah sich wieder auf der Mauer stehen, den Blick über die Belagerer in die Ferne schweifend, wo irgendwo ihr Ritter war, der sie retten würde. Ja, das kleine Mädchen hatte keinen Moment daran gezweifelt, dass er kommen und ihr Schicksal sich erfüllen würde.
Sehnsucht wallte in ihr auf, die ihre Kehle eng werden ließ. Elisabeth musste ein Schluchzen unterdrücken. Ach, wenn dies doch die Mauern des Prager Hradschin wären und Albrecht dort auf seinem Ross mit den Männern herangeritten käme, um sie zu befreien. Er würde siegen, sie auf sein Pferd heben und dann mit ihr davonreiten, um immer an ihrer Seite zu bleiben, so wie er es ihr in Prag versprochen hatte.
Damals hatte er sein Versprechen eingelöst, doch heute zählte es nicht mehr. Sie war hinter diesen Mauern auch keine Gefangene, die er zu befreien trachtete. Sie hatte sich freiwillig auf die Seite ihres Vaters geschlagen und gehörte nun zu Albrechts Gegnern, die er zu strafen gekommen war.
Heilige Jungfrau , dachte sie, wie konnte es so weit kommen?
Die Männer hatten inzwischen den Graben vor der Burg fast erreicht. Albrecht von Wertheim hob die Hand, zügelte sein Ross und brachte sein Pferd zum Stehen. Die anderen hielten ein Stück hinter ihm, so weit weg, dass sie im trüben Licht zumindest kein allzu leichtes Ziel für die Armbrustschützen auf der Mauer und den Türmen boten.
»Ah, welch unerwartete Ehre«, hörte Elisabeth die Stimme ihres Vaters. Er stand auf dem Turm über dem Haupttor. Neben ihm, wie nicht anders zu erwarten, sein Narr Friedlein.
Albrecht klappte das Visier hoch. Nein, wie der Pfleger von Würzburg sah er in diesem Moment nicht aus. In letzter Zeit hatte sie ihn nur in den langen Gewändern eines Chorherrn zu Gesicht bekommen und schon fast vergessen, wie gut er sich in der Rüstung eines Ritters machte. Ihr Herzschlag verlor seinen gleichmäßigen Rhythmus.
»Unerwartet wohl kaum«, rief Albrecht zurück. »War es nicht Eure Absicht, mich vor Euer Tor zu zwingen, als Ihr gegen jedes geltende Recht meinen Vater ergreifen und in Euer Verlies werfen ließet?«
Der Bischof hob die Schultern. »Meinem höflichen Schreiben seid Ihr ja nicht nachgekommen.«
»Weil ich nichts mehr mit Euch zu besprechen habe! Das Schicksal des Landes geht Euch nichts mehr an. Ihr dürft Euch zwar noch bis zu Eurem Tod Bischof nennen, aber sonst habt Ihr mit dem Bistum nichts mehr zu schaffen. Eure eigene Hand hat den Vertrag unterzeichnet und gesiegelt.«
Der Bischof machte eine wegwerfende Handbewegung. »Jaja, ich weiß, aber nun habe ich mich eben anders entschieden, und da Ihr Euch weigertet, die Urkunden so aufzusetzen, wie wir es vor nur wenigen Wochen hier im Saal besprochen haben, war ich gezwungen, zu anderen Mitteln zu greifen.«
»Meinen Vater ohne Ankündigung einer Fehde auf diese Weise zu ergreifen ist schändlich und gegen jedes hergekommene Recht! Aber damit werdet Ihr nicht durchkommen. Dieses
Mal nicht. Habt Ihr noch immer nicht begriffen, dass die Zeit um ist, da Ihr Euch solch
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