Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
versicherte Elisabeth, »wenn Ihr also meine Hilfe in der Alchemistenküche benötigt…«
Meister Thomas lehnte ab. »Nicht heute. Ihr seid ja gerade erst angekommen. Heute wird ein herrlicher Tag, den Ihr im Trubel der Stadt genießen solltet, statt Euch in der düsteren Küche zu verstecken. Ich werde heute übrigens die Feuerstellen ebenfalls kalt lassen, da ich Meister Heinrich aufsuchen und ihm einige neue Rezepturen vorstellen möchte. Ich hoffe, er zeigt Interesse und kauft mir nicht nur meine rohen Ingredienzien ab.«
»Ich dachte, Ihr dürft nur auf Anweisung eines Arztes Eure Medizin kochen?«, wunderte sich Elisabeth. Der Apotheker wand sich.
»Ja, das ist schon richtig. Es ist uns verboten, einen Kranken zu untersuchen und ihm dann ein Heilmittel gegen sein Leiden zu verabreichen. Es ist uns aber durchaus erlaubt, fertig zubereitete Arzneien zu vertreiben. Ob der Kunde sie dann kauft und einnimmt, ist seine eigene Entscheidung. Und da gibt es heutzutage weit mehr Möglichkeiten als das von alters her berühmte Theriak, das gegen alle Leiden und auch gegen Gifte helfen soll – natürlich nur, wenn es unter anderem das
Pulver eines echten Einhorns enthält und nicht, wie so oft, eine Fälschung ist.«
»Ich werde ebenfalls ein paar Krämer und Händler aufsuchen, die sich hoffentlich als Käufer erweisen werden«, ergänzte Georg und erhob sich. »Entschuldigt mich, ich muss nach Sebastian sehen, ob er mit den Waren zurechtkommt.« Er ging davon, um sich zu seinem Diener und stetigen Reisebegleiter zu gesellen, mit dem er fast ein freundschaftliches Verhältnis pflegte. Die Jahre, die sie in gefährlichen Gegenden und kargen Landschaften zusammen verbracht hatten, hatten aus ihnen mehr als Herr und Knecht gemacht. Auch Meister Thomas verabschiedete sich.
Elisabeth wartete noch, bis Gret das Geschirr in die Küche geräumt und in einem Wasserbottich eingeweicht hatte, dann verließen die drei Frauen ebenfalls das schmale Bürgerhaus in der Franziskanergasse. Gret trug einen Korb unter dem Arm und kündigte an, sie würde noch so einiges für die Küche benötigen, wenn sie am Abend ein ordentliches Mahl bereiten solle. Georg hatte ihr genug Münzen gegeben und die Entscheidung, was besorgt werden musste, ganz alleine ihr überlassen. So schritt Gret stolz einher, war sie doch von der Küchenmagd plötzlich zur Köchin erhoben worden.
Auch Jeanne zählte einige Dinge auf, die sie für Elisabeths Bequemlichkeit nicht missen wollte, und Elisabeth selbst wollte sich Stoffe und Bänder ansehen und ein paar neue Schuhe anfertigen lassen.
So schlenderten die drei Frauen in bester Laune durch die Gassen, ließen sich im dichter werdenden Strom zu den Stufen des Doms treiben und genossen an einem der Bäckerstände die süßen Gebäckstücke, bis sie einfach nicht mehr konnten. Jeanne ließ sich auf die Stufen sinken und hielt sich den Bauch.
»Ich platze gleich!«
»Das wäre ein schöner Skandal«, lästerte Gret und piekte sie in den Leib. Jeanne quietschte.
»Lass das! Sieh lieber zu, dass du das Fleisch und die Eier nach Hause bekommst, ehe sie zu warm werden.«
Elisabeth nickte. »Ja, das ist ein vernünftiger Vorschlag. Dann musst du nicht die ganze Zeit alles mit dir herumschleppen. Wir warten hier ganz faul auf dich.«
Gret zog eine Grimasse und verbeugte sich spöttisch. »Wie die edlen Jungfrauen befehlen. Ich bin sofort wieder da.«
Elisabeth und Jeanne saßen derweil müßig in der Sonne und genossen den Trubel um sich herum.
»Sieht du dort diese unmögliche Haube? Soll das nun der große Schrei werden? Das sieht doch einfach nur lächerlich aus!«
Jeanne kicherte und machte Elisabeth auf einen Mann aufmerksam, der seine engen roten Hosen mit einer übermächtigen Schamkapsel bestückt hatte. Als er sich umwandte, konnten sie sehen, dass sein Wams so kurz geschnitten war, dass sie nicht umhinkamen zu bemerken, wie eng sich der knallrote Stoff über seine straffen Hinterbacken spannte.
»Wäre ich eine unschuldige Jungfrau, müsste ich vor Scham erröten«, murmelte Elisabeth. Dann entdeckte sie noch einen Mann, der vornehmlich in Rot gekleidet war: Meister Thürner, der sich seinen Weg auf das Rathaus zu bahnte. Wie gewohnt wichen die Menschen vor dem Henker zurück, sodass sich wie durch Geisterhand eine breite Gasse auftat, ganz gleich, in welche Richtung er schritt.
Da kam Gret zurück. Sie eilte auf die Freundinnen zu und winkte ihnen schon von Weitem.
»Kommt schnell, wir
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