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Das Archiv

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Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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einwandfrei. Sie erhielt Material zurück (Handtasche). Ging anschließend zu Pisani, aß zwei Portionen Vanille. Fünfundzwanzig Minuten. Ging dann in verschiedene Geschäfte, kaufte Nylonstrümpfe und einen Seidenschal. Vierzig Minuten. Ging langsam in die Botschaft zurück. Fünfzehn Minuten. Eine Stunde zwanzig Minuten nach Treff. So verhält sich niemand, der in Eile ist und Angst haben muß. Jo verständigen.«
    Besonders die beiden letzten Sätze schienen Kilian bedeutungsvoll. Er war sicher, er würde kassieren. Befriedigt spürte er, wie seine Hände ruhiger wurden und sein Gehirn auf Touren kam:
    Das Doppel! Das waren Bill und sein erschossener Freund, dessen war sich Erich Kilian sicher. Pisanis Eisbar kannte er auch. Die Bude lag zehn Gehminuten von der Sowjetischen Botschaft entfernt. Und daraus konnte man Schlüsse ziehen.
    Alles war klar für Professor Dr. Dr. Erich Kilian. Die beiden Schönlinge, das Doppel, sie hatten sicher eine Sekretärin der Botschaft an der Leine, die ihnen Material lieferte. In der Mittagspause waren die Kontrollen nicht so streng. Sicher brachte sie Schriftstücke, die dann eilig fotografiert und zurückgegeben wurden, alles in der knappen Mittagspause.
    Aber dann das Schönste: So benimmt sich kein Mensch, der in Eile ist und Angst haben muß. Gescheiter alter Rossmanek. Gescheiter alter Mann. Nur aufschreiben hätte er nichts sollen, auch nicht in Gabelsberger Stenografie. Forelle stinkt. Forelle war sicher der Deckname der Informantin. Munteres Fischlein. Kilian bestellte noch einen Kaffee mit Rum.
    Munteres Fischlein, stinkendes. Und dann das Allerschönste: Jo verständigen. Das war wichtig. Jeder wußte, daß Rossmanek ein Mann des Westens war und Kontakte zu den Amis unterhielt. Kilians Gedanken waren nun klar und präzise:
    Rossmanek hatte sicher recht. Forelle mußte keine Angst haben, war nicht in Eile. Im Klartext: Sie gab Spielmaterial mit Wissen des KGB weiter. Daraus folgt weiter: ein Jo wurde verständigt. Die Amis wußten also, daß sie Spielmaterial kauften. Vielleicht jahrelang. Vielleicht noch immer, wer konnte das wissen. Das aber mußte die Genossen vom KGB interessieren. Geld konnte bei der Beschaffung der Informationen keine Rolle spielen. Denn Desinformation kann ebenso wichtig sein wie Information, wenn man weiß, daß man desinformiert werden soll.
    Das also enthielt eine einzelne Eintragung von wenigen Sätzen Stenografie. Und es gab davon viele hundert Seiten. Eine Goldmine tat sich Erich Kilian auf. Lange besah er sich einen kleinen rosafarbenen Ausweis, den er seit vielen Jahren nicht mehr in Händen gehabt hatte.
    Es war ein Führerschein, ausgestellt von der Verkehrsabteilung der Polizeidirektion Wien am siebten April 1955, lautend auf den Namen Robert Siglitz. Der Ausweis trug Erich Kilians Foto, zumindest war es ein Bild, das ihn so zeigte, wie er vor zwanzig Jahren ausgesehen hatte. Gut, daß er nie etwas wegwarf. Den Führerschein hatte er sich damals selbst ausgestellt, vor zwanzig Jahren, als er noch Offizier der Roten Armee war, als er noch Macht und Einfluß hatte. Das Dokument war in Ordnung, gerade recht für seine Zwecke. Es hatte zu regnen aufgehört. Zwinker-Kilian marschierte zu Fuß in die Innenstadt, zu einem kleinen Postamt, wo er seit Jahren nicht mehr gewesen war. Er mietete ein Schließfach, füllte ein Formular aus, legitimierte sich mit dem Führerschein, bezahlte die Fachmiete für drei Monate im voraus und erhielt einen kleinen Schlüssel. Dann setzte er sich an ein Schreibpult im Schalterraum, nahm den Brief an Oberst Wolkow aus der Tasche und las ihn noch einmal sorgfältig durch:
    Verehrter Genosse Oberst.
    Die beiliegenden Abschriften sollten sie interessieren. Sie können noch mehr von der Sorte haben, viel mehr. Wenn sie interessiert sind, senden sie fünfzigtausend Schilling in großen Banknoten an die Absenderadresse. Erich Kilian klebte den Umschlag zu, sah noch einmal kurz auf die Nummer seines Postfachschlüssels: Robert Siglitz, Postamt 1031, Fach 192.
    Als er den Brief in den Postkasten warf, fühlte er sich müde wie nach schwerer Arbeit. Und einen übermäßigen Durst hatte er.
    Einen übermäßigen Durst hatte auch Bill Weiss in diesen Tagen: »Eta bez wodki nje rasbirjosch«, sagt man in Rußland. Das kannst du ohne Wodka nicht begreifen. Bill begriff nichts und niemanden in diesem regnerischen Dezember 1975 in Wien, einer Stadt, in der er geboren und aufgewachsen war. Hatte sich diese Stadt so sehr

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