Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Archiv

Das Archiv

Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
Vom Netzwerk:
verändert in den letzten zehn Jahren? Waren es die Menschen, das Leben hier, das ihn so fremd anmutete? Oder war es vielleicht nur er selber, der sich verändert hatte, alt geworden war, sich nicht mehr zurechtfand im Leben. Halbwegs ausgeglichen war er nur, wenn er getrunken hatte.
    Eta bez wodki nje rasbirjosch.
    Er trank nur abends, denn tagsüber brauchte er einen klaren Kopf. Einen Fehler konnte er sich nicht leisten. Er trank also nur abends und mit Christa, diesem jungen Ding, die er immer weniger verstand, je öfter er mit ihr schlief. Das aber war sein geringstes Problem, und Ursache war wohl einfach der »generation gap«, der Generationsunterschied. Mit Christa konnte er alles machen, nur nicht reden. Sich unterhalten, das schon. Christa plapperte unentwegt und fand alles »Spitze« und »Klasse«, wenn sie erfreut, »Mist« oder »Scheiße«, wenn sie betrübt war. Je nachdem. Bill begriff immer weniger von ihren Ansichten und hörte ihr schließlich gar nicht mehr zu.
    Wenig begriff er auch von den ersten übersetzten Aufzeichnungen des alten Rossmanek, die er von Zwinker-Kilian erhielt. Sicherlich, das waren Dinge, die im Geheimdienst vor zwanzig Jahren vielleicht interessant waren. Aber heute? Bill konnte sich nicht vorstellen, warum Nachrichtendienste heute hinter dem Material her waren. War doch alles antiquierter Kram. Die meisten beteiligten Personen waren sicher schon gestorben, wie der alte Rossmanek selbst. Die fraßen doch alle schon die Würmer, mußte Bill denken. Reine Gruftspionerei. Daß ein Agent mit dem Decknamen Forelle in den fünfziger Jahren offenbar doppelt spielte, wen sollte das heute, nach zwanzig Jahren, noch interessieren. Aber war nicht festzustellen, wer Forelle war. Zwinker-Kilian hatte schon recht, ohne ein Verzeichnis über Code- und Klarnamen war mit dem Text wenig anzufangen. An die Wohnung hatte er sich langsam gewöhnt, irgendwie fühlte er sich in dem muffigen Loch sogar geborgen. Er schlief lange und wurde meist erst durch das Geräusch der eingeworfenen Post geweckt. Das war gegen neun Uhr, aber für gewöhnlich brachte die Post nichts Wichtiges, meist nur Rechnungen und Reklamen. So auch heute. Eine Zahnarztrechnung war dabei. Zweitausendvierhundert Schilling für Dentist Johann Nordbauer, Altmannsdorfer Straße Nummer siebzehn. Zahnregulierung für Herbert Sommer, stand dabei. Herbert Sommer?
    Hatte sich Herbert einen falschen Namen zugelegt? Warum? und Zahnregulierung? Herbert hatte die besten Zähne, die man sich vorstellen konnte, und überhaupt, was sollte am Gebiß eines fünfzigjährigen Mannes noch reguliert werden? Bill steckte die Rechnung in die Tasche. Natürlich würde er sie bezahlen, aber das wollte er doch wissen, was es damit auf sich hatte.

 

    XV
    Wenigstens einen Parkplatz konnte man in der Altmannsdorfer Straße ohne weiteres finden. Eine miese Vorstadtgegend im Süden Wiens. Alte Häuser, aber natürlich war die Nummer siebzehn ein Neubau. Ein großes Chromschild verwies auf den Dentisten Nordbauer. Eine arrogante Sprechstundenhilfe, oder Assistentin oder auch Freundin des Herrn Dentisten, jedenfalls eine weißbemäntelte Gans mit einem »Vonobenherab-Benehmen«, nahm ihm anstandslos das Geld ab; für Bills Fragerei allerdings hatte sie wenig übrig.
    »Natürlich war es eine Zahnregulierung«, schnappte sie, »steht doch auf der Rechnung.«
    »Mein Freund«, sagte er bissig, »war in meinem Alter. Und da ist man froh, wenn man überhaupt noch eigene Zähne hat.« Was also da zu regulieren war, wollte er beharrlich wissen.
    Überrascht stellte er fest, daß seine Bemerkung Wirkung zeigte. Sie begann, in der Kartei zu blättern?, »Herbert Sommer«, sagte sie schließlich, ein Kärtchen in der Hand.
    »Ja«, sagte Bill.
    »Herbert Sommer, Sintstraße fünf, sieben Jahre alt. Extrahierung eins links, Röntgen und Vorarbeit für Zahnregulierung. Sieben Jahre alt!« Die Nachricht traf ihn wie ein Schlag.
    »Aha« sagte Bill. Er war entlassen. »Sintstraße fünf«, murmelte er, Herbert Sommer, sieben Jahre alt, Sintstraße fünf. Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten? Auf der Straße begegnete er einer alten Frau mit Einkaufstasche.
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Bill, »können Sie mir sagen, wo die Sintstraße ist? Muß hier in der Nähe sein.« Die Alte wußte es. »Nur fünf Minuten zu Fuß, ich wohne auf Nummer zwanzig.« Sie deutete in eine Richtung. »Der Herr hat es sicher eilig. Gehen Sie nur in diese Richtung, Sie können es

Weitere Kostenlose Bücher