Das Areal: Thriller (German Edition)

Augenpaare auf sie herab, Nachbarn, die sich fragten, was der Lärm zu bedeuten hatte. Kate kam sich vor wie ein Verbrecher, der vom Tatort flüchtet.
    Die ferne Sonne stieg gerade über die Dächer auf, und sie spürte, wie das Areal allmählich zum Leben erwachte; überall regte es sich, wie in einem Ameisenhaufen. Als sie an Knightlys Wagen anlangte, bemerkte sie den roten Skyline, der mit laufendem Motor an der Kreuzung stand. Warf einen Blick aufs Nummernschild, begriff, dass der Wagen Nicola gehörte. Dann schoss er auch schon mit quietschenden Reifen davon. Kate sprang in den Wagen und nahm die Verfolgung auf.

13
    T urner wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Es roch nach Schimmel und Urin, verschwommene Umrisse rechteckiger Gegenstände zeichneten sich in der Düsternis ab. Er hörte, wie Ghost das schmale Fenster schloss. Zuvor hatten sie nach Männern Ausschau gehalten, die die Rückseite des Gebäudes überwachten. Als sie nicht fündig wurden, fiel ein großer Druck von ihm ab. Er hoffte, dass sie ihnen entwischt waren. Als Ghost ihn am Arm zupfte, richtete er sich auf. Er konnte noch immer nicht viel erkennen, doch anscheinend befanden sie sich in einem Raum, in dem große, mit Plastikfolie abgedeckte Kisten gelagert waren. Ghost legte warnend den Zeigefinger an die Lippen und zeigte zur gegenüberliegenden Wand, wo Licht durch einen Spalt am Türrahmen sickerte. »H und«, flüsterte sie so leise, dass Turner sie kaum verstand.
    Sie zog ihn zu einer zweiten Tür und beugte sich zum Schließmechanismus hinab. Er wartete im Dunkeln, während sie irgendetwas ins Schlüsselloch steckte. An der anderen Seite des Raums scharrte ein Tier am Boden. Dann war die Tür offen, und sie traten hindurch. Sie befanden sich auf der Männertoilette des Grand. Geborstene Fliesen und Pisslachen auf dem Boden. Die Tür, durch die sie gekommen waren, fiel mit einem Klicken zu. Darauf stand HAUSMEISTER , doch angesichts des Zustands der Toilette zweifelte Turner an dessen Existenz. Außer ihnen hielt sich niemand in dem Raum auf.
    »W as waren das für Kisten?«, fragte er.
    Ghost zuckte mit den Schultern und wischte sich die Hände an der Jacke ab. »K eine Ahnung, wahrscheinlich irgendwelche Sachen, die Wheeze verhökert. Er lässt den Zugang von der Bar von einem Rottweiler bewachen, damit keiner reingeht. Ich weiß nicht, wie viele Leute überhaupt wissen, wo die Tür hinführt. Wahrscheinlich ist das sein kleiner Geheimausgang, oder er lässt hier seine Kunden rein.«
    »W ie oft bist du schon durch das Fenster eingestiegen?«
    »E in paarmal.« Nähere Auskünfte gab sie nicht.
    Als sie aus der Toilette traten, kam ihnen ein Mann entgegen. Er stutzte zwar, sagte aber nichts. Ein Lächeln spielte um seine rissigen Lippen, und Turner fragte sich unwillkürlich, wie oft es wohl vorkam, dass hier ein halbwüchsiges Mädchen mit einem älteren Mann von der Herrentoilette kam.
    Die Bar besaß apokalyptischen Charme. Der Boden senkte sich unter einer hohen Decke aus Spritzgussbeton zur Theke hin ab. Die Zapfanlage und die angestrahlten Flaschen unter der alten Kinoleinwand wirkten wie die Glaspfeifen einer Wurlitzer-Orgel aus der Zeit des Stummfilms. Von der Decke hing eine Fahne mit der Aufschrift THE GRAND , die sich im schwachen Luftzug bauschte. Ein halbes Dutzend Gäste saßen an horizontal ausgerichteten und am Boden fixierten Tischen. In dem schummrigen Licht sah es aus, als warteten sie auf etwas. Auf den Film. Das Ende der Zeit. Die über ihre Drinks gebeugten gesichtslosen Gestalten nahmen von Turner und Ghost keine Notiz.
    Der untersetzte Mann hinter der Bar war etwa Mitte fünfzig und trug ein zerschlissenes T-Shirt mit der Ankündigung eines Metal-Gigs aus dem Jahr 1991. An seinem Schädel klebten ein paar fettige Strähnen, doch abgesehen von diesen Haarresten und seinem Viertagebart war er kahlköpfig. An seiner linken Hand fehlten Mittel- und Ringfinger, und die übrigen drei glichen einer dicken Klaue. Er humpelte stark, als er zu ihnen kam. »D as ist er«, sagte Ghost. »W heeze.«
    »G uten Morgen, junge Lady«, sagte er in einem Tonfall, dem der Überdruss deutlich anzuhören war. Jeder Atemzug, jedes Wort wurde von einem Rasseln begleitet. Er hatte einen schwachen Akzent, irgendwas Europäisches. »I ch kann dir heute nichts verkaufen. Du musst dich gedulden.«
    »I ch suche nach Charlie Rybeck«, sagte Turner. »T urner ist mein Name.«
    »K ennen wir uns? Weshalb kommt mir