Das Arrangement
schließlich wieder aufrichtete, um Luft zu holen. “Tut mir leid.”
Er schüttelte den Kopf. “Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, schon gar nicht für Ihre Gefühle. Julia, was glauben Sie, warum Sie als Mutter so viele Fehler gemacht haben?”
Das Taschentuch war völlig durchweicht und voller Flecken von ihrer Mascara. Sie würde es wegwerfen müssen. “Verdammt, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich hat das was mit meiner eigenen Mutter zu tun.”
“Das stimmt. Wenn es einen Preis für die schlechteste Mutter gäbe, dann würde sie ihn gewinnen.”
“Meinen Sie? Ich habe immer gedacht, sie wäre perfekt, und ich müsste genauso werden wie sie.”
“Was für ein Irrtum”, entgegnete er leise. “Ihre Mutter hat Sie nie richtig verstanden und sich auch nicht dafür interessiert, was für ein Mensch Sie sind. Eleanors Besessenheit, was die Wohltätigkeit angeht, diente nur ihrer eigenen Genugtuung. Ihre Moralansprüche dienten nur einem Zweck – sich über alle anderen zu erheben, auch über ihre Tochter. Sie behauptete zwar, die Welt verbessern zu wollen, aber sie war nicht in der Lage, sich um ein kleines Mädchen zu kümmern. Dazu war sie zu sehr mit ihren eigenen Bedürfnissen beschäftigt.”
Er lehnte sich vor, als wolle er sichergehen, dass Julia jedes einzelne Wort richtig verstand. “Ihre Mutter hat als Mensch versagt, doch das konnte sie nie zugeben. Sie war nicht in der Lage, ihre eigenen Fehler zu erkennen. Sie, Julia, sind ein viel besserer Mensch als Ihre Mutter es je gewesen ist. Zumindest erkennen Sie Ihr Versagen.”
Julia sah den Arzt schockiert an. Insgeheim wusste sie jedoch, dass sie genau das hatte hören wollen. Selbst der Treuhandfonds, Eleanors Erbe, war so ausgerichtet, dass alle, die ihren Moralvorstellungen nicht entsprachen, bestraft wurden.
“Und meine Besessenheit, immer tadellos auszusehen, selbst das kleinste Härchen auszurupfen?”, fragte sie.
“Sie haben damit versucht, auf die einzige noch mögliche Weise den Ansprüchen Ihrer Mutter zu genügen. In allen anderen Prüfungen waren Sie gescheitert, also strebten Sie nach äußerer Perfektion. Ich kann natürlich nur spekulieren. Sie müssen entscheiden, ob Sie diese Antwort akzeptieren.”
Julia ließ sich das alles einen Augenblick durch den Kopf gehen, aber im Moment war es einfach zu viel. Einiges von dem, was er ihr sagte, hatte sie bereits im tiefsten Inneren geahnt und es sich nur nie eingestanden, aber anderes war völlig neu für sie. Sie hätte sich niemals als einen besseren Menschen als ihre hoch angesehene Mutter bezeichnet.
“Sollen wir einen weiteren Termin vereinbaren?”, wollte der Psychiater freundlich wissen.
Julia überlegte kurz, schüttelte dann aber schließlich den Kopf. “Ich glaube nicht. Aber vielen Dank, Sie waren mir eine große Hilfe. Ich weiß jetzt genau, was ich zu tun habe.”
“Und das wäre?”
Sie brachte ein Lächeln zustande und nahm ihre Handtasche. “Das würde Ihnen sicher nicht gefallen.”
Tony Bogart fuhr an den Bordstein und parkte am anderen Ende der Straße, weit ab von dem stuckverzierten Haus seines Vaters, das ein hoher Zaun umgab. Er war nicht im Dienst. Tony war es peinlich, sich hier mit dem auffallend extravaganten Leihwagen zu zeigen. Sein Vater würde einen Blick auf den schnittigen roten Flitzer werfen und ihn fragen, wie es denn käme, dass er plötzlich so ein verdammt hohes Tier sei, und damit würde es nicht enden. Wahrscheinlich wäre das nur der Beginn einer längeren Tirade.
So war es einfacher. Tony wollte sich nicht mit dem alten Mann streiten. Er hatte ihn lediglich ausfindig gemacht, um ihn davon zu unterrichten, dass der Mord an Butch aufgeklärt sei. Nicht dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde. Jedenfalls nicht nach Tonys Ansicht. Weil Marnie Hazelton maßgeblich an dem Polizeieinsatz zur Überführung des verdächtigten Fairmont-Sohns teilgehabt hatte, war sie mit einem Klaps auf die Finger davongekommen. Zumindest hatte sie gestanden, was sie Butch angetan hatte.
Tony brauchte nur wenige Minuten, um auf das Grundstück seines Vaters zu gelangen. Nachdem er das Schloss des Gitterzauns geknackt und sich so Zutritt verschafft hatte, ging er auf das heruntergekommene kleine Haus zu. So lange Tony sich erinnern konnte, hatte sein Vater Autos verkauft, aber inzwischen war er vielleicht schon in Pension gegangen und musste mit weniger auskommen. Nicht dass die Bogarts es jemals besonders üppig gehabt hätten.
Tony klopfte
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