Das Arrangement
noch. Das Mädchen lag bewusstlos am Boden, und er wollte sich die Mistgabel schnappen und auf sie losgehen. Als ich den ganzen Schmutz hörte, der aus seinem Mund kam, wie er das Mädchen beschimpfte und sogar seine Mutter, schnappte ich mir die Gabel, bevor er sie hatte, und schlug sie ihm über den Schädel.”
Die Stimme des alten Mannes war immer leiser geworden, und mit jedem Wort sackte er ein kleines bisschen mehr in sich zusammen. “Nicht mal das konnte ihn aufhalten, nichts konnte ihn mehr aufhalten. Ich musste ihn umbringen, um ihm das Maul zu stopfen.”
“Du hast ihn getötet, damit er nichts mehr sagte? Was hat er denn gesagt?”
“Er schrie, ich hätte ihn doch aufgefordert, die hässliche Kröte zu töten und von ihrem öden Dasein zu erlösen. Er behauptete, ich hätte es von ihm verlangt. Ich musste ihm das Maul stopfen. Ich musste ihn aufhalten.”
Tony konnte es nicht fassen, ein Vater, der wiederholt auf seinen geliebten Sohn einstach. Woher kam nur diese blinde Wut? Aber sein Vater hatte es bereits gesagt. Es war Hass, die Art von Hass, die aus Unwissenheit und Angst entstand.
“Was ist mit Marnie passiert?”, wollte Tony wissen.
“Irgendwann bemerkte ich, dass sie weg war. Sie war wohl zu sich gekommen und weggelaufen. Ich dachte mir, dass sie zu den Klippen gerannt ist, und da habe ich sie gefunden.”
“Du bist ihr gefolgt?” Hatte sein Vater auch noch versucht, Marnie umzubringen?
Der alte Mann schloss die Augen. “Ich kam zu spät.”
“War sie schon runtergesprungen?”
“Sie ist nicht gesprungen. Der Fels ist unter ihren Füßen weggebrochen. Ich konnte nichts tun.”
Tony blieb schweigend sitzen und ließ seinen Vater die Polizei anrufen. Er wusste, dieser fürchterliche Schmerz in seinem Innern würde nie vergehen. Jetzt hatte er endgültig den Beweis, dass er aus einer Familie mit lauter psychisch Gestörten stammte. Er selbst war ja auch verrückt, wie konnte er da für das FBI oder irgendeine Organisation arbeiten, die Leute beschützen sollte? Die Anzeichen waren alle da – die Schießübungen, seine Besessenheit mit Alison, die Wutausbrüche. Er war krank. Es war ein Virus, den er sich von diesem Mann dort eingefangen hatte, der jetzt zusammengesunken auf seinem Sessel ihm gegenüber saß. Butch hatte sich ebenfalls infiziert.
Nach einer Weile stand Tony vom Boden auf und ging ans Fenster, wo er auf das Eintreffen der Polizei wartete. Sein Vater war inzwischen vollkommen in sich zusammengesackt. Er murmelte irgendwas von Butchs Mutter vor sich hin. Sie hätte etwas nicht tun sollen. Und obwohl er offensichtlich Trost benötigte, wusste Tony, dass er diesen von ihm nie akzeptiert hätte.
Tony konnte sich genau vorstellen, wie die Zukunft seines Vaters aussah, und diese Vorstellung war unendlich trübe. Was ihn selbst betraf, so hatte er überhaupt keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Wenn er nicht beim FBI bliebe, was konnte er sonst tun? Irgendwann in einem Liegestuhl sitzen und sich die Augen aus dem Kopf heulen, weil er so viele Leben zerstört hatte, so viele Kinder verdorben? Allein? Im Gefängnis?
Als die Polizeistreife schließlich eintraf und er beobachtete, wie die Beamten ausstiegen, stellte Tony fest, dass irgendetwas an diesem Vormittag passiert war, etwas, das nichts mit der hoffnungslosen Situation seines Vaters zu tun hatte. Tony war klar geworden, wie leicht man ein Kind auf den falschen Weg lenken konnte.
Auch Hass, den man als Humor verkleidete, vermochte Böses zu bewirken. Butchs Verhängnis war sein Bestreben gewesen, dem eigenen Vater zu gefallen. Wollten das nicht irgendwie alle Kinder? Doch dabei konnte so vieles falsch laufen.
Tony seufzte tief, und der Schmerz in seiner Brust löste sich ein wenig. Er würde nie ein Priester werden oder ein Berater. Nicht mal ein netter Typ, aber er hatte etwas gelernt, und vielleicht gab es irgendwann eine Möglichkeit, sich dies zunutze zu machen. Zumindest würde er wohl, wenn er es das nächste Mal mit Jugendlichen zu tun hatte, die aggressiv und destruktiv veranlagt waren, mehr Verständnis aufbringen. Er würde versuchen nachzuvollziehen, was bei ihnen schiefgelaufen war, aus welchem Bedürfnis heraus, jemandem zu gefallen, ihre krankhaften Zwänge sich entwickelt hatten.
“Vielleicht ist ja nicht alles verloren, Bogart”, hörte er sich selbst murmeln, als die Polizisten an die Tür seines Vaters hämmerten. “Vielleicht wird ja eines Tages doch noch ein halbwegs vernünftiger
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