Das Arrangement
traten. “Alison scheint das Schlechte regelrecht angezogen zu haben”, bemerkte sie. “Ich habe das Gefühl, dass sie eine Menge Feinde hatte und wir uns hier an einem ziemlich gefährlichen Ort befinden.”
Andrew zog seine Smokingjacke aus und legte sie ihr um die nackten Schultern. Er drückte ihr aufmunternd die Arme, bevor er sie losließ. “Lass mich das mit Bret machen, okay? Heute Abend wird gefeiert, und du solltest dir darüber keine Gedanken machen. Ich freue mich, dass du die Ohrringe trägst. Sie sehen an dir umwerfend aus.”
Sie nickte, wohl bewusst, dass er geschickt das Thema gewechselt hatte.
“Ist dir kalt?”
“Nein, es ist alles in Ordnung.”
“Eine wundervolle Nacht.”
Er blickte hinunter auf die Wellen, die gegen die Felsen krachten, aber Marnie konnte sich ihm nicht anschließen. Das donnernde Geräusch hallte in ihrem Kopf wider, und sie wandte schnell den Blick ab. Plötzlich, ohne dass sie wusste, wie ihr geschah, stieg Angst in ihr auf. Die Wellen lösten Erinnerungsfetzen in ihr aus, Bilder, die seit Monaten begraben gewesen waren. Verzerrte Gesichter tauchten vor ihrem geistigen Auge auf, sie hörte Rufe.
Nein, sie konnte unmöglich hinuntersehen. Sie konnte nicht mal mehr einen klaren Gedanken fassen.
Was passierte bloß mit ihr? Erlebte sie nun all diese Stunden noch einmal, die sie schwankend auf Satan's Teeth verbracht hatte, während sie sich einredete, es wäre alles so viel leichter, wenn sie einfach sprang? Damals hatte sie so lange auf die tosenden Wellen gestarrt, sie hatte Gesichter gesehen, Stimmen gehört. Irgendwie war sie besinnungslos geworden.
War sie in dieser Nacht tatsächlich gesprungen? Sie konnte sich nicht erinnern. Ihr Albtraum hatte die Erinnerung an Butchs Gewalttätigkeit wieder in allen Einzelheiten heraufbeschworen, doch alles, was danach passiert war, lag weiterhin im Dunkeln.
Als sie sich aus diesen Gedanken losriss, fiel ihr auf, dass sie etwas zwischen den Fingern hielt. Es war der Träger ihres Kleides, an dem sie zerrte. Sie hatte den Kupferring an die Innenseite des diamantbesetzten Trägers genäht und nun wohl aus Angst, ohne nachzudenken, nach ihrem Glücksbringer gegriffen.
Sie wandte sich vom Geländer ab und hoffte, diese Erinnerungsfetzen würden nachlassen. Doch sie spürte noch immer den feinen Sprühregen von Salzwasser auf ihrer Haut. Sie war mit all ihren Sinnen in der Vergangenheit behaftet, konnte sich nicht davon losreißen. Nicht einmal mehr der durchdringende Geruch der Bergkiefern auf den Klippen, den sie früher so geliebt hatte, schien ihr nun erträglich.
Sie blickte hoch zu dem bunten Partytreiben, fragte sich, warum sie nicht an diesem Leben teilhaben konnte, an irgendeinem Leben, in dem es möglich war, glücklich zu sein. Sie hatte sich nie gestattet, in Selbstmitleid zu zerfließen. Trotz des trostlosen Daseins, das sie geführt hatte. Selbstmitleid war für sie genauso sinnlos wie von Felsen zu springen. Offensichtlich hegte sie immer noch die Hoffnung auf eine glücklichere Zukunft. Sie sehnte sich nach Geborgenheit und Liebe, einem Leben ohne Anfeindungen.
War das möglich?
Irgendetwas lenkte ihre Aufmerksamkeit zur Terrasse im zweiten Stock, der Ebene über der Party, die ebenfalls vollkommen im Dunkeln lag. Für einen kurzen Moment jedoch glaubte sie dort jemanden gesehen zu haben. Entweder spielten ihre Nerven ihr einen Streich, oder sie hatte tatsächlich eine Frau gesehen, die vom Geländer zu ihr und Andrew herunterblickte.
Als sie ein weiteres Mal hinaufblickte, konnte sie jedoch niemanden mehr entdecken. Im Nachhinein konnte Marnie nicht einmal mehr mit Sicherheit sagen, wieso sie dachte, es sei eine Frau gewesen. Es war zu dunkel, um mehr als die Umrisse zu erkennen.
“Ist alles in Ordnung?”, erkundigte sich Andrew.
Weil sie ihrer Stimme nicht traute, nickte ihm Marnie nur zu. Sie musste sich beruhigen. Sie reagierte viel zu nervös auf Kleinigkeiten, sah Dinge, die nicht da waren.
Er umfasste ihren Ellbogen und führte sie langsam weiter. Marnie folgte mit weichen Knien. Wenn das heute Abend eine Prüfung für sie war, dann fühlte sie sich im Moment wie eine große Versagerin. Sie konnte ja nicht einmal ohne Unterstützung laufen.
“Lass mich los”, sagte sie plötzlich, “ich kann auch alleine gehen.”
Er ließ sie los und blieb verblüfft stehen. “Was ist denn passiert?”
Marnie lief weiter. Sie hatte keine Lust, sich ihm zu erklären. Jedenfalls würde sie nicht zur
Weitere Kostenlose Bücher