Das Aschenkreuz
Beten.
Derweil breitete sich auf dem Gesicht des Priesters ein beseligtes Lächeln aus. Unter dem mit Inbrunst gesungenen Halleluja der Gläubigen verließ Bruder Cyprian mit der Langsamkeit eines Traumwandlers das Kirchlein, und schon gleich war von draußen lautes Schluchzen und Weinen zu vernehmen.
Serafina wusste nicht recht, was sie von alledem halten sollte. Mochte diesem Cyprian auch wahrhaftig jeden Freitag ein göttliches Wunder widerfahren – so etwas gab es immer wieder, zu allen Zeiten und an allen Orten –, so hinterließ indessen diese Zurschaustellung bei ihr einen unangenehmen Beigeschmack.
Ihr Blick fiel auf den hochgeschossenen jungen Mönch, der zusammen mit einem Messdiener dem Pater bei der Gabenbereitung zur Hand ging. Wo hatte sie den schlaksigen Kerl schon einmal gesehen? Plötzlich war sie sich sicher, dass er es gewesen war, der vor einer Woche mit aufgerissenen Augen zu dem Gehenkten herübergestarrt hatte, ohne zu Hilfe zu kommen. Sie hätte große Lust, ihn nach der Messe darauf anzusprechen, verwarf es dann aber wieder. Schließlich waren seine Mitbrüder auch nicht besser gewesen.
Neugierig beobachtete sie, wie Pater Blasius ihn in diesem Moment zurechtzuweisen schien, um sich dann mit fürsorglicher Miene dem Ministranten zuzuwenden, einem etwas dicklichen, blassgesichtigen Jungen. Dessen Augen waren deutlich gerötet, die Hostienschale in seinen Händen zitterte. Weinte der Junge etwa? Ihr fiel ein, was Catharina ihr erzählt hatte: Dass auch Hannes Pfefferkorn alle Freitage hier ministriert hatte. Mit Sicherheit hatten sich die beiden gut gekannt.
Nach Empfang der heiligen Kommunion gingen der Ministrant und ein älterer Mönch mit dem Klingelbeutel herum, um jedem, der spendete, einen päpstlichen Ablasszettel auszuhändigen. Die ergriffenen Kirchgänger gaben reichlich. Schließlich ging es nicht nur um den Wiederaufbau des Waldklosters, sondern um das eigene Seelenheil.
«Und? Hab ich dir zu viel versprochen?», fragte Grethe, als sie sich auf dem sonnenbeschienenen Vorplatz aufwärmten. Ihr rundes, rosiges Gesicht strahlte.
«Ein gelungenes Spektakel, fürwahr», gab Serafina spöttisch zurück.
«Pfui! Der Herr soll dich strafen für deine Ungläubigkeit.»
Serafina zuckte die Achseln. «Wartest du hier auf mich? Ich möchte noch ein paar Worte mit dem Messdiener sprechen.»
Ohne Grethes Antwort abzuwarten, umrundete sie die Kapelle bis zur Tür der Sakristei. Es dauerte nicht lange, bis der Junge herauskam. Er hatte sich umgezogen, und der Kleidung nach entstammte er eher nicht dem reichen Stadtbürgertum. Er war etwas jünger als Hannes, sein Gesicht hatte noch die glatte Haut eines Kindes. Jetzt sah sie deutlich, dass er geweint hatte.
Leider war er nicht allein. Hinter ihm traten Pater Blasius und die beiden anderen Mönche heraus. Serafina stellte fest, dass sie den Älteren, der etwas krumm gewachsen war und leicht hinkte, flüchtig kannte. Sein Vater gehörte zu den Pfleglingen ihrer Schwesternschaft, ein hochbetagter, schwindsüchtiger Mann, der sich eine Herrenpfründe im Heilig-Geist-Spital nicht leisten konnte und für eine Armenpfründe zu stolz war. Auch Serafina hatte den alten Cunrat Amman schon zwei-, dreimal gepflegt. «Ich lass mich nicht am Ende meiner Tage mit einer Handvoll verlauster Alter in einen Schweinekoben sperren», pflegte er zu sagen und hatte damit nicht ganz unrecht. Die beiden Armenstuben im Spital, wo sich zwei bis drei Sieche eine Bettstatt teilen mussten, boten fürwahr einen erbärmlichen Anblick.
Sie trat auf die Männer zu. Dabei fiel ihr auf, dass der junge Mönch ihrem Blick auswich.
«Ihr wollt mich sprechen, meine liebe Schwester?», fragte der Priester und strahlte sie an – mit ebenjenem Leuchten in den Augen, das sie anscheinend immer noch bei vielen Mannsbildern hervorzuzaubern vermochte, ob nun geistlich oder nicht.
«Nicht Euch wollte ich sprechen, Pater», gab sie lächelnd zurück, «sondern Euren Ministranten, wenn Ihr erlaubt.»
Pater Blasius nickte und legte dem Jungen die Hand auf die Schulter.
«Nun gut, auf ein Ave-Maria. – Wir erwarten dich dann am Bruderhäuslein, Jodok.»
«Ja, ehrwürdiger Pater.» Der Ministrant beugte das Knie.
Serafina wartete ab, bis die Männer zur Hütte des Einsiedlers verschwunden waren, dann nahm sie den Jungen beim Arm.
«Du heißt also Jodok. Ich bin Schwester Serafina, von der Sammlung zu Sankt Christoffel.»
«Ich weiß. Ihr habt die …» Der Junge schluckte.
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