Das Aschenkreuz
und winkte ihr freundlich zu.
«Gott zum Gruße, Schwester», gab sie zurück. Anscheinend war sie hier schon bekannt wie ein bunter Hund. Sie selbst kannte die Ordensfrau nicht beim Namen.
«Ihr seid ja wieder schwer am Schaffen, wie ich sehe.» Die Nonne machte keinerlei Anstalten weiterzugehen.
«O ja, zu dieser Jahreszeit gibt es viel zu tun.»
«Wem sagt Ihr das? In unserem Rebstück plagen wir uns grad damit ab, alle Geiztriebe auszuschneiden.»
Über das «wir» musste Serafina beinahe lachen. War doch bekannt, dass die körperliche Arbeit im Kloster von den Laienschwestern verrichtet wurde. Und überhaupt – was strich diese Nonne so allein hier herum? Hatte sie nicht die Klausur zu beachten?
«So wünsch ich Euch noch einen schönen Tag, Gott anempfohlen», rief sie betont freundlich der Klosterfrau zu. Dabei hielt sie Wendelin krampfhaft am Rückgrat fest, da er nach ihren Bemühungen bedrohlich schief im Erdreich steckte und umzukippen drohte. Warum hatte sie nicht bedacht, dass sie jemand bei ihrem seltsamen Tun beobachten könnte?
«Was habt Ihr mit der Vogelscheuche vor?», ertönte es erneut vom Zaun her.
«Ich will sie versetzen, näher an die Kirschen dran.»
«Nun, so will ich nicht weiter bei der Arbeit stören. Gelobt sei Jesus Christus.»
«In Ewigkeit, Amen.»
Erst nachdem die Frau durchs Klostertor verschwunden war und zwei Mägde grußlos an ihrem Garten vorübergegangen waren, wagte es Serafina fortzufahren, nicht ohne sich jedoch unablässig umzublicken. Sie legte Wendelin eine Schlinge um den Hals und lehnte ihn gegen den Baumstamm. Dann bestieg sie die Holzkiste, die gefährlich unter ihr zu wackeln begann, während sie mit drei kräftigen Hammerschlägen die Latte am Ast festnagelte. Nun hatte sie in etwa die Maße des Scheunentores vor sich und konnte mit ihrem Versuch beginnen.
Mit klopfendem Herzen blickte sie sich um. Es war reichlich verrückt, was sie da vorhatte. Die Latte ließe sich ja noch als Stütze eines morschen Astes erklären, aber wenn sie die Vogelscheuche erst aufgezogen hatte … Und was, wenn plötzlich Catharina hier auftauchen würde? Als Meisterin kam sie ein-, zweimal die Woche vorbei, um zu begutachten, welche Fortschritte der Gemüsegarten machte.
Sie eilte zum Zaun, doch auf dem Weg zum Peterstor, der hier entlangführte, war niemand zu sehen. Von den drei anderen Seiten ihres Gartens drohte kaum Gefahr, beobachtet zu werden. Sie grenzten an die Vorstadtmauer, an dichtes Buschwerk und an ein Feldstück, das den Lämmlein-Schwestern gehörte und mehr oder weniger brach darniederlag.
Kurzerhand stellte sie sich mit Wendelin unter den Baum, warf das lose Seilende über den Ast und zog die Vogelscheuche vorsichtig auf, bis der Lattenstumpf ein Fuß breit über der Erde schwebte. Für einen Moment musste Serafina mit einem heftigen Würgereiz kämpfen, so sehr erinnerte sie der Anblick an das schreckliche Geschehen. Schlimmer noch – Wendelin schien sie mit gebleckten Zähnen anzugrinsen, während er sanft hin und her pendelte. Sie gab sich einen Ruck. Ohne das Seil aus der Hand zu lassen, gab sie der Vogelscheuche einen Schubs, noch einen und noch einen, bis die Drehbewegungen stärker wurden. Dabei schlug der Körper mehrfach gegen Latte und Baumstamm.
Es gab keinen Zweifel: Wie sich die Figur auch drehte, in welche Richtung sie auch pendelte – niemals hätte der Kopf gegen das Holz schlagen können! Und wenn, dann allenfalls die Stirn und nicht der Hinterkopf, da der Tote das Kinn gegen die Brust gesenkt hatte. Nun gut, der Junge hatte vielleicht im Todeskampf heftig gezappelt. Aber selbst dann vermochte er sich nur Hände, Füße oder Schultern zu zerschrammen.
Um alle Zweifel auszuschalten, beschloss sie, Wendelin aus der Höhe herabstürzen zu lassen. Sie stellte die Holzkiste wieder hochkant, kletterte hinauf, hob sich die Vogelscheuche bis über ihre Schultern und ließ los. Im selben Augenblick verlor sie das Gleichgewicht auf ihrem wackligen Untergrund, schrammte mit der linken Wade an der Kiste entlang und stürzte seitlich zu Boden.
Serafina stöhnte laut auf. Ihre Wade blutete, Hüfte und Schulter schmerzten sie. Mühsam, mit einem unterdrückten Fluch auf den Lippen, kam sie wieder auf die Beine, blickte sich nach allen Seiten um, ob auch niemand Zeuge ihrer Torheit geworden war. Dann erst entdeckte sie die Bescherung: Wendelin lag kopflos und mit zerbrochenem Unterteil im Gras.
«Das tut mir leid», murmelte sie unwillkürlich
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