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Das Aschenkreuz

Das Aschenkreuz

Titel: Das Aschenkreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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zugeschlagen? Und hatte aus ebendiesem Grund hernach alles als Selbstmord getarnt?
    Dann erreichte sie die Nachricht, dass Barnabas erkrankt sei, und ihre Grübeleien traten vor der Sorge um den Bettelzwerg in den Hintergrund.
    «Der Bannwart von Adelhausen hat ihn in seiner Hütte aufgefunden, halbtot vor Schmerzen und inmitten von Erbrochenem», berichtete die Meisterin und bat Serafina und Grethe, auf die Frühmesse zu verzichten, um alsbald nach dem Kranken zu sehen. Rasch packten sie einen Korb mit dem Nötigsten zusammen und machten sich auf den Weg vor die Stadt.
    «Heilige Mutter Maria, bitte steh dem armen Kerl bei», murmelte Serafina, als sie das Schneckentor hinter sich gelassen hatten und die holzgedeckte Brücke über der Dreisam betraten. Der Fluss führte kaum noch Wasser, an seinen Ufern faulten die ersten verendeten Fische vor sich hin.
    «Ich hab mal gehört, dass Zwerge und Narren nicht lang zu leben haben», hörte sie Grethe sagen.
    «Sei still! So was darfst du gar nicht erst denken.»
    «Weißt du denn überhaupt, wie alt Barnabas ist?»
    Nein, das wusste sie nicht. Sie wusste überhaupt nur wenig über das Leben dieses seltsamen kleinen Mannes, der manchmal sanft wie ein Kind sein konnte, dann wieder unbändig wie eine Wildkatze. Bisweilen glaubte sie auch, Angst in seinen Augen zu erkennen, und von Grethe hatte sie erfahren, dass er als junger Mensch von den Burschen der Stadt oft genug gefoppt und gequält worden war. Einmal hatte wohl eine Horde Besoffener ihn bäuchlings auf eine Handkarre gebunden und durch die Dreisam geschleift, wobei Barnabas ums Haar ertrunken wäre. Daraufhin hatte die Stadt, unter deren Schutz alle Unsinnigen standen, die Rädelsführer streng bestraft, hatte sie in die Schupfe beim Fischbrunnen gesteckt und getaucht und hernach der Stadt verwiesen. Seither ließ man den Bettelzwerg wohl mehr oder weniger in Ruhe.
    Unwillkürlich beschleunigte Serafina ihren Schritt in Richtung der ersten Häuser von Adelhausen. Das Dorf gleich südlich der Stadt war eine lockere Ansiedlung von kleinen Gehöften und niedrigen Häuschen zwischen Rebstücken, Baumgärten, Wiesen und Ackerland. Auch das vornehme Kloster Adelhausen lag hier draußen. Wie immer, wenn eine von ihnen in dieser Gegend war, machten sie einen Umweg zur Pfarrkirche Sankt Einbethen. Dort nämlich lebten in einem an die Kirche angebauten Raum zwei Klausnerinnen, denen sie einen halben Laib Brot und eine Kerze bringen sollten. Serafina lief jedes Mal ein Schauer über den Rücken, wenn sie an diese Frauen dachte, die auf ewig geschworen hatten, ihre winzige Kammer nie mehr zu verlassen und niemals Besuche zu empfangen. Nur aus Gebet und Bibellesung, aus Fasten und Geißeln bestand ihr Alltag. Durch ein Fenster zum Kircheninneren nahmen sie am Gottesdienst teil, durch eine winzige Luke nach außen empfingen sie ihre Almosen. Was für ein Dasein! Nahe ihres Gärtchens, an der Kirche Sankt Peter, gab es sogar eine Schwester, die seit Jahren ganz allein in ihrem Kämmerchen hauste!
    Eilig durchquerten sie den Kirchhof von Sankt Einbethen, klopften dreimal gegen die angelehnte Luke des Anbaus und legten ihre Spende auf das Gesims.
    «Gelobt sei Jesus Christus!»
    «In Ewigkeit. Amen», kam es dumpf von innen zurück. Gleich darauf hörten sie das Klatschen von Lederriemen auf nackte Haut.
    «Schnell weiter.» Serafina zog Grethe am Arm mit sich fort. Als sie wieder auf der Straße standen, stieß sie hervor: «Kann so etwas Gottes Wille sein? Das ist doch kein Menschenleben.»
    Grethe zuckte die Achseln. «Mir tät’s auch nicht gefallen.»
    Sprach’s und klaubte sich einen Brocken Brotkrume aus der anderen Hälfte des Laibs, den sie gierig in den Mund steckte.
    Missbilligend klopfte Serafina ihr auf die Finger. «Das ist für Barnabas.»
    Vorbei an den letzten Häusern schritten sie geradewegs auf den Saum des Waldgebirges zu. Das Gelände wurde zusehends buschiger und sumpfiger, der aufgeschüttete Kiesweg war nur noch handwagenbreit. Serafina war erschüttert über die windschiefe, armselige Hütte, die kurz darauf hinter einer Biegung vor ihnen lag. Sie war noch nie bei Barnabas draußen gewesen.
    «Du wirst dich wundern», sagte Grethe, als hätte sie ihre Gedanken gelesen, und stellte den Korb an der Schwelle ab.
    Nachdem sie die knarrende Tür aufgestoßen hatten, blieb ihnen fast die Luft weg, so ekelhaft stank es nach Erbrochenem.
    «Barnabas?», rief Serafina ängstlich in das Halbdunkel hinein.
    «Ooh»,

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