Das Aschenkreuz
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Kapitel 18
A uf dem Weg in die Schneckenvorstadt, wo fast ausnahmslos Gerber, Färber und Fischer ihr Handwerk betrieben und es daher für empfindliche Nasen nicht gerade angenehm roch, erfuhr Serafina noch einige bedeutsame Dinge über die hiesigen Wilhelmiten.
Einstmals war ihr Konvent sehr reich und angesehen gewesen. Draußen in Oberriet hatten die Brüder über viele Jahrzehnte hinweg eine ansehnliche Grundherrschaft mit reichlich Waldbesitz aufbauen können, hier in der Freiburger Niederlassung flossen ihnen seitens der Bürger großzügige Spenden und Jahrzeitstiftungen zu. All das hatte ihren Reichtum stetig gemehrt, bis das Schicksal sie vor gut zwanzig Jahren böse heimgesucht hatte. Ein verheerendes Feuer hatte in ihrem Waldkloster Bibliothek und Klosterarchiv vernichtet und auch sonst großen Schaden angerichtet. Kaum wiederaufgebaut, war es vor drei Jahren ein zweites Mal fast bis auf die Grundmauern abgebrannt. Damit hatte die wirtschaftliche Blüte der Wilhelmiten ein jähes Ende gefunden, und es galt fortan, jeden Pfennig in den Neuaufbau des Waldklosters zu stecken.
So stand es denn sehr schlecht um die Brüder zu Sankt Wilhelm – bis zu jenem denkwürdigen Tag jedenfalls, als der Einsiedler die Wundmale Christi empfangen hatte und die unbedeutende kleine Kapelle zum Wallfahrtsort wurde, wo sich die Gläubigen angesichts dieses himmlischen Gnadenerweises mit großzügigen Spenden von ihren Sünden loskauften.
Sie hatten das Kloster, das sich im hintersten Winkel der Vorstadt an die Stadtmauern drückte, erreicht.
«Ist Bruder Rochus schon bestattet?», fragte Serafina, nachdem Catharina die Glocke der Klosterpforte geläutet hatte. Es war die Zeit zwischen Sext und Non, gemeinhin die Ruhezeit im klösterlichen Alltag, und so würden sie niemanden bei Gottesdienst oder Arbeit stören.
Die Meisterin nickte. «Gestern kam er unter die Erde. Der Herr sei seiner Seele gnädig.»
Sie bekreuzigte sich, und Serafina tat es ihr nach.
Kurz darauf wurde ihnen geöffnet. Serafina hatte nie zuvor ein Kloster von innen gesehen, auch nicht das der Barfüßer, deren Kirche sie regelmäßig zur Messe besuchten. So vermochte sie auch nicht zu sagen, ob der Konvent der Wilhelmiten besonders wohlhabend war – viel weitläufiger und besser ausgestattet als ihr kleines Anwesen im Brunnengässlein war er allemal. Da gab es eine eigene Schmiede und Bäckerei, kleine Werkstätten und Stallungen, und hinter einer halbhohen Bruchsteinmauer lugte das Grün eines Obstgartens hervor.
Der Portarius führte sie in die Klausur, wo sie einen Mönch allein und gesenkten Hauptes im Kreuzgang wandeln sahen.
«Bruder Matthäus!», rief Catharina leise und winkte ihm zu.
Als der Prior sie erkannte, hellte sich seine sorgenvolle Miene auf. Die Ereignisse um seinen Mitbruder Rochus hatten den hageren, entsagungsvoll wirkenden Mönch sichtlich mitgenommen. Nachdem die Meisterin ihm Serafina vorgestellt hatte, beteten sie zunächst gemeinsam das «De Profundis» für den Verstorbenen.
«Was also führt Euch zu mir, liebe Schwestern?», fragte Bruder Matthäus schließlich freundlich.
«Um es kurz zu machen: Es geht um Barnabas, den vermeintlichen Mörder von Bruder Rochus», erwiderte Catharina im Flüsterton, obwohl der Kreuzgang menschenleer war. «Haltet Ihr ihn für fähig, eine solche Freveltat begangen zu haben?»
«Nun, ich bin noch nicht allzu lange hier in Freiburg und kenne ihn kaum. Nach allem, was ich weiß, mag er uns Kuttenträger nicht besonders, gelinde gesagt, und …»
«Er plappert vielleicht vorschnell heraus, was ihm in den Kopf kommt, aber er ist ein durch und durch friedliebender Geselle», sprudelte es aus Serafina heraus. Als sie Catharinas missbilligenden Blick wahrnahm, setzte sie hinzu: «Verzeiht, Bruder Matthäus. Ich hätte Euch nicht unterbrechen dürfen.»
«Es sei Euch verziehen, Schwester.» Der Prior unterdrückte ein Lachen. «Ich sehe schon: Ihr beide haltet den Bettelzwerg für unschuldig.»
«In der Tat.» Catharina sah ihn beschwörend an. «Ich kenne ihn nun schon, seit ich unserer Sammlung beigetreten bin. Barnabas ist ein hilfsbereiter kleiner Kerl, der sich für keine Mühe zu schade ist, der sich noch nie etwas zuschulden hat kommen lassen. Auch wenn er das Gemüt eines Kindes hat und dafür oft verlacht wird, so hat er auch die Unschuld eines Kindes.»
«Das mag sein. Und trotzdem weiß niemand, was im Kopf
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