Das Aschenkreuz
goldenen Ohrringe auf das Schreibpult. «Die brauche ich ja nun nicht mehr. Aber dennoch danke, dass du sie mir überlassen hast. Und dass du mich unterstützt hast.»
Die Meisterin holte ihre Schatulle aus der Truhe und verstaute den Schmuck darin.
«Du hast recht, die brauchen wir nicht mehr.» Sie lächelte Serafina plötzlich aufmunternd zu. «Denn der Stockwart im Spital ist alles andere als bestechlich.»
«Du kennst ihn?» Ein Funke neuer Hoffnung glomm in Serafina auf.
«Aber ja. Du vergisst, dass ich die Armenpfründner im Spital betreue und dort seit Jahren aus und ein gehe. Ich wollte ohnehin heute Mittag nach den beiden Todkranken sehen. Angesichts deiner Nachricht will ich aber nicht so lange warten. Gleich nach der Frühmesse gehen wir beide ins Spital.»
«Aber warum sollte dieser Stockwart uns zu Barnabas lassen, wenn er sich doch nicht kaufen lässt?»
«Ganz einfach: Weil der alte Marx ein gutes Herz hat. Und weil er mir dankbar ist, dass ich seine Ehegefährtin vor ein paar Monaten in den Tod begleitet habe. Für eine Henkerstochter und damit Unehrliche wollte keine von den anderen Freiburger Regelschwestern dies tun.»
Serafina wäre ihrer Meisterin am liebsten um den Hals gefallen. Sie hätte nie geglaubt, dass Catharina sich so für Barnabas ins Geschirr legen würde.
«So lass uns also hoffen», fuhr Catharina fort, «dass wir mit Gottes Hilfe etwas für unseren kleinen Freund tun können. So lange er noch nicht peinlich befragt wurde, ist es nicht zu spät. Jetzt aber zu etwas ganz anderem. Zunächst einmal: Es freut mich, dass du und Heiltrud zueinander gefunden habt.»
Serafina spürte, dass Catharina eine Bestätigung erwartete, und so nickte sie nach kurzem Zögern. Zueinander gefunden – das war ja reichlich übertrieben, wenn sie an gestern Abend dachte.
«Gerade in einem Haus wie dem unseren …» Catharina begann, auf und ab zu gehen. «… ist es wichtig, dass alle in Frieden und Eintracht miteinander leben. Dass wir uns vertrauen. Dinge wie Streit, Missgunst oder Argwohn sind zwar sehr menschlich, aber wir müssen sie überwinden lernen, um in echter Gemeinschaft unseren Zielen zu dienen.» Sie blieb vor Serafina stehen. «Ich habe lange nachgedacht, ob ich mein Stillschweigen, was deine Vergangenheit betrifft, brechen soll oder nicht. Aber anlässlich dieser dreisten Schmähung unseres Konvents als Hurenhaus habe ich beschlossen, dir gegenüber die Karten offenzulegen. Dass du deinerseits nicht offen zu mir warst, kann ich sogar verstehen.»
In Serafinas Ohren begann es zu rauschen, und ihr schwindelte. Kaum vermochte sie den weiteren Worten der Meisterin zu folgen.
«Um es kurz zu machen: Mir ist bekannt, dass du, bevor du zu uns kamst, als öffentliche Frau in einem Dirnenhaus gearbeitet hast.»
Jetzt musste Serafina sich doch setzen. Sie wankte zu dem Stuhl und ließ sich kraftlos nieder. «Warum … Woher …», begann sie zu stottern.
«Ich weiß um dein Geheimnis von Ursula, deiner Kindheitsfreundin.»
Ursula! Die zarte, kränkliche und dabei so gutherzige Freundin von einst, die so jung hatte sterben müssen, nachdem ihr das Leben viel zu hart mitgespielt hatte. Einen ganzen Stall Kinder hatte sie sich gewünscht und doch keine bekommen können. Und dann war auch noch der Mann, der sie über alles liebte und verehrte, auf schreckliche Weise ums Leben gekommen war – ein Zimmermann, der beim Bau einer Scheune vom Dachfirst zu Tode gestürzt war.
Unwillkürlich dachte Serafina zurück an die früheren Zeiten. Nachdem sie in jungen Jahren ihr gemeinsames Heimatdorf verlassen hatte, waren sie und Ursula sich nur noch zweimal begegnet: Das erste Mal, als Serafina von ihrem Radolfzeller Dienstherrn davongelaufen war und zu Hause Zuflucht gesucht hatte. Das zweite Mal dann kurz nachdem Ursula Witwe geworden war. Vollkommen zufällig waren sie sich in Konstanz, wo Ursula in Erbschaftsangelegenheiten einen Advocatus aufgesucht hatte, über den Weg gelaufen. Damals hatte Serafina noch in jenem schäbigen Vorstadtbordell gearbeitet, und Ursula hatte ihr schon nach wenigen Sätzen die traurige Wahrheit über ihr Dasein als billige Hure herausgelockt. Sie hatte Serafina überreden wollen, mit ihr nach Freiburg zu kommen, wo eine entfernte Muhme von ihr bei den freundlichen Armen Schwestern lebe. Serafina hatte ihr geloben müssen, ernsthaft darüber nachzudenken, und das war nicht einmal gelogen gewesen, da sie das Tun der Konstanzer Beginen schon immer bewundert
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