Das Aschenkreuz
hatte. Aber bald schon war sie ins Haus Zum Blauen Mond gewechselt und hatte ihr Versprechen vergessen. Nicht indessen den Namen der Freiburger Sammlung: die Schwestern zu Sankt Christoffel, dem Patron der Reisenden und Kinder, dem Schützer vor einem jähen, bösen Tod.
«Du musst wissen», riss die Meisterin sie aus ihrer Benommenheit, «dass Ursula und ich damals enge Freundinnen waren und dass sie sehr um dein Schicksal besorgt war. Wir haben oft zusammen darum gebetet, dass du aus deinem Leben in diesem Konstanzer Hurenhaus herausfinden mögest.» Catharinas Blick wurde weich, und die Grübchen auf ihren Wangen verrieten, dass sie ein Lächeln unterdrückte. «Als du dann im Frühjahr vor mir standest und von deiner Kindheit am See und deiner Freundin Ursula gesprochen hattest, wusste ich sofort, wer du warst.»
Eine Zeitlang herrschte Stille. Irgendwann flüsterte Serafina: «Dann werde ich wohl jetzt mein Bündel packen müssen.»
«Aber nein. Du gehörst sehr wohl zu uns! Hatte nicht einstmals der Orden der Reuerinnen Frauen wie dich mit offenen Armen empfangen? Auch wenn dies heute anders ist – genau so sollte es in jeder gläubigen Gemeinschaft sein. Meine Frage an dich ist jetzt allerdings: Wer hat da unser Haus in den Dreck gezogen? Gibt es jemanden in der Stadt, der dich von Konstanz her kennt?»
«Niemand, soweit ich weiß. Außer Adalbert Achaz, der Stadtarzt.»
«Das dachte ich mir fast, nachdem ich erfahren hatte, dass du ihn von früher kennst. Entschuldige, wenn ich so rundheraus frage: War er dein Freier?»
Serafina schüttelte heftig den Kopf. «Nein, nein – er war damals der Leibarzt des Bischofs von Basel.» Fast trotzig fügte sie hinzu: «Dieser Bischof war sozusagen Stammgast in unserem Hause. Wie viele andere Männer Gottes und hohe Herren übrigens auch.»
Catharina seufzte. «Ja, ich weiß wohl, dass es um die Tugendhaftigkeit einiger Geistlicher nicht zum Besten steht. Nach außen Gottesfurcht und Keuschheit predigen, nach innen verdorben bis ins Mark …»
«Aber Adalbert Achaz hat mit dieser Schmiererei nichts zu tun. Er war selbst empört darüber.»
«Nun, vielleicht war es auch einmal mehr eine Niedertracht gegen uns Beginen. – Sei versichert, Serafina: Hier im Haus Zum Christoffel weiß nur ich von deiner Vergangenheit, nicht einmal Heiltrud ahnt davon. Und so soll es auch bleiben, das verspreche ich dir. Deinem neuen Leben als freundliche Arme Schwester soll nichts im Wege stehen.»
Sie trat zu Serafina, zog sie vom Stuhl in die Höhe und umarmte sie herzlich. Serafina zweifelte keinen Augenblick an der Aufrichtigkeit ihrer Worte. Wie von einer großen Last befreit fühlte sie sich, wusste aber auch, dass sie der Meisterin noch immer eine Enthüllung schuldig geblieben war: dass sie nämlich einen Sohn hatte, einen siebzehnjährigen Jungen namens Vitus, der niemals hatte bei ihr leben dürfen. Sie würde es ihr sagen müssen. Eines Tages, irgendwann einmal.
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Kapitel 21
N ach dem Schlusssegen zogen die Frauen unter Glockengeläut hinaus auf den Kirchplatz vor Sankt Martin. Für gewöhnlich sammelten sich hier die Freiburger Terziarinnen und Schwestern, die der geistlichen Obhut der Barfüßer unterstanden, um noch ein Weilchen zu plaudern und sich auszutauschen, doch die Meisterin und Serafina hatten es heute eilig. Nach einem kurzen Gruß in die Runde hasteten sie hinüber in die Große Gass, zur Seitenpforte des Heilig-Geist-Spitals.
Der Spitalknecht öffnete ihnen.
«Gott zum Gruße, liebe Schwestern. Ihr seid früh dran heute.»
«Gott zum Gruße, guter Mann», gab Catharina zurück. «Ja, es gibt noch einiges zu erledigen. Kommen wir zu ungelegener Zeit?»
Der vierschrötige Mann lächelte. «Das kommt Ihr nie, Mutter Catharina. Eure beiden Pfleglinge werden noch gewaschen, und so lange mögt Ihr in der Küche eine warme Milch zu Euch nehmen.»
Catharina winkte ab. «Danke, aber führ uns nur gleich in die Krankenstube.»
Sie folgten dem Knecht durch ein Labyrinth schmaler Gänge und Treppen und gelangten am Ende in einen kleinen Flur, von dem rechts und links zwei Dachkammern abgingen. Die linke Tür stand weit offen, und Serafina sah, dass die Stube leer war, die Betten ordentlich gemacht, der große Dielenboden sauber gekehrt.
«Tust du mir bitte den Gefallen …» Catharina legte dem Knecht die Hand auf den Arm. «… und schickst uns gleich Marx, den Stockwart, herauf?»
Der Mann sah sie erstaunt an, dann nickte er.
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