Das Aschenkreuz
auf einen Rosenkranz, versprochen?»
«Versprochen.» Catharina schob Serafina durch den Einlass, während sich Marx vor dem Gitter auf einem dreibeinigen Holzschemel niederließ.
Der Schein ihrer Lampe wanderte über den mit schmutzigem Stroh bedeckten Boden, bis er die gegenüberliegende Mauer erfasste. Serafina unterdrückte einen Aufschrei. Was im ersten Moment wie ein Haufen dreckiger Lumpen ausgesehen hatte, entpuppte sich als die Umrisse eines Menschen, der in sich zusammengekauert auf einer Strohschütte hockte. Vom Kopf schaute nur ein borstiger Haarschopf hervor, die nackten Füße waren an die Wand gekettet.
«Barnabas!», flüsterte Serafina und hockte sich neben ihm nieder. «Erkennst du uns?»
Der Zwerg hob den Kopf, der jetzt noch riesiger wirkte als sonst. Seine Augen waren rot entzündet, Stirn und Nase blutverkrustet.
«Ja», stieß er mit dünnem Stimmchen hervor. «Serafina, die Schöne, die Gute. Und ihre Meisterin.»
«Haben sie dir Leid angetan?»
«Der Erste ja, der Zweite nein. Welcher von den beiden ist hier?»
«Der Zweite, der Marx. Der tut dir nichts, hab keine Angst. – Hör zu, Barnabas, wir haben nicht viel Zeit. Wir wissen, dass du es nicht warst, dass du nur zufällig am Leichnam des Mönches vorbeigekommen bist.»
«Aber die Herren wissen’s nicht. Sie wollen dem Barnabas Beine und Finger schrauben. Der Gelbe hat’s mir erklärt, und jetzt sitzt da drinnen …» Er deutete auf seine Brust. «… eine große Angst.»
Es dauerte einen Augenblick, bis Serafina begriff, dass er mit dem «Gelben» den Henker meinte, der hier in Freiburg ein gelbes Wams trug. Sie nahm seine Hand.
«So weit wird’s nicht kommen», beruhigte sie ihn, obgleich sie selbst kaum noch an Rettung zu glauben wagte.
Traurig wiegte Barnabas den Kopf hin und her. «Es ist ein ewiges Gesetz: Alles muss sterben. Der Baum wie der Grashalm, die Laus wie der Mensch.»
«Noch ist Hoffnung.» Die Meisterin zog einen kleinen Wasserschlauch aus ihrem Leinenbeutel. «Hier, trink erst mal. Wir lassen dir auch was zu essen da.»
Er trank in winzig kleinen Schlucken, bis der erste Durst gelöscht war.
«Du musst jetzt genau nachdenken», beschwor ihn Serafina, «was du an jenem Morgen gesehen hast. Vielleicht auch schon am Morgen, als du den jungen Hannes gefunden hast. Hast du vielleicht jemanden weglaufen sehen? Oder Stimmen gehört?»
Barnabas kaute auf den Lippen, während er nachdachte. «Das Bild der toten Menschen hat mich so erschreckt, dass es mir den Kopf ganz leer gemacht hat. Jetzt ist nur noch das schreckliche Bild da drinnen, und manchmal auch das Böse. Und weißt du was, schöne Serafina? Das Böse ist gar nicht schwarz, wie man immer meint. Das Böse kann auch hell sein wie ein nebliger Sommermorgen.»
Serafina, die aus Barnabas’ oft wirrer Wortwahl ansonsten recht gut heraushören konnte, was er meinte, blieb für diesmal ratlos. «Dann hast du also doch etwas gesehen?»
«Nur das Böse. Aber es hat sich mir nicht zu erkennen gegeben, aus gutem Grund.»
«War das Böse ein Mensch? Jemand, den du kennst? Oder den wir alle kennen?»
Barnabas schüttelte abwehrend den Kopf. «Aus gutem Grund nicht», wiederholte er heiser. «Denn das Böse ist auch an heiliger Stätte.»
Nun mischte sich Catharina ein. «Hast du vor irgendjemandem Angst?»
Doch er schüttelte erneut den Kopf. «Bin müde jetzt. Muss schlafen.»
Hilflos blickte Serafina die Meisterin an. Das entsprach ganz und gar nicht dem, was sie sich erhofft hatte. In diesem Moment hörten sie, wie Marx sich laut räusperte.
«Die Zeit ist um. Ihr müsst zurück.»
«Wir kommen», antwortete ihm Catharina leise. Sie nahm Käse, Wurst und Brot aus ihrem Beutel, alles in einem sauberen Tuch eingeschlagen, und legte es Barnabas in den Schoß.
«Danke, ihr lieben Frauen.»
«Ich habe auch noch was für dich.» Serafina zog aus ihrer Rocktasche eine grünglasierte irdene Murmel, die sie einst in Konstanz auf der Gasse gefunden hatte. «Für deine Sammlung, wenn du wieder draußen bist.»
Die Augen des Zwerges leuchteten auf. Er ließ die kleine Kugel in seiner Handfläche kreiseln.
«Serafina?»
«Ja?»
«Du kannst mir helfen. Du musst das Bild finden und erkennen, so wie ich es erkannt habe. In Unser Lieben Frauen Münster ist die ganze Weltgeschichte erzählt, dort ist auch erzählt, was hier in Freiburg geschehen ist. Und warum es geschehen ist.»
«Dann weißt du also doch, wer es war?»
Der Zwerg lächelte gequält: «Du
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