Das Aschenkreuz
Nämlich vom ersten Hahnenschrei an das Stundenglas regelmäßig umzudrehen, damit wir pünktlich mit unserem Blutwunder beginnen können. Man könnte fast sagen, er ist ein wandelnder Zeitmesser. Nicht wahr, Bruder?»
Cyprian nickte stolz. Er hatte aufgehört zu zittern. «Es wird doch alles gut, Bruder Blasius, oder?»
«Ja, das wird es, wenn du tust, was ich dir sage.»
Wie gebannt starrte Serafina auf das Glas, in dem ein dünner Faden aus Sand herunterrann. Sie musste Zeit gewinnen, das war die einzige Möglichkeit, dieser Hölle zu entkommen. Sie straffte die Schultern und versuchte, ihrer Stimme einen festen Klang zu geben.
«Warum betrügt Ihr die Menschen mit diesem falschen Spektakel und mordet sogar dafür? Ist es des Geldes wegen, das Ihr als Bursar dafür einnehmt?»
«Geld!» Der Pater verzog verächtlich das Gesicht. «Was schert mich das elende Silber? Und ein Mörder bin ich schon gar nicht. Der gemeine Mord ist eine Todsünde, es sei denn, er dient einem höheren Ziel. Ich will dir verraten, worum es hier geht. Um einen göttlichen Auftrag in dieser gottlosen Zeit.»
Er verfiel wieder in diesen Singsang, den er bei seinen Predigten anzuheben pflegte und der auch Serafina, wie sie sich voller Scham eingestehen musste, tief berührt hatte. Wie widerwärtig das mit einem Mal klang!
«Sind nicht den Bürgern Tanzfeste und Fressgelage wichtiger als der Gottesdienst? Heißen die neuen Götzen nicht Wollust, Glücksspiel und Gier nach immer mehr Reichtum? In einer Zeit, wo selbst die Geistlichen statt ihres Habits Schnabelschuhe, Seidenkleider und pelzgefütterte Umhänge tragen und die Nonnen eigene Haushaltungen mit Dienstmägden führen, sich auf Jahrmärkten und Fastnachtsumzügen herumtreiben, um sich dann hinter verschlossenen Türen mit geilen Mannsbildern zu verlustieren – woran soll da das einfache Volk noch glauben? Eine ganz und gar schamlose Zeit ist das!»
Seine wohlklingende Stimme war am Ende schrill geworden. Fassungslos starrte Serafina den Pater an. Dieser Mann war von Sinnen! Wie eine schwarze Wand kehrte die Angst zurück.
«Der Allmächtige selbst hat mir diesen Auftrag gegeben.» Blasius wurde wieder ruhiger. « ER hat mir befohlen: Bringe mir mein Menschenvolk auf den Weg der Frömmigkeit zurück, auf dass es mich wieder ehret und fürchtet. Ja, da schaust du, Serafina. Der Zweck heiligt die Mittel. Und was spricht schon gegen ein bisschen Brimborium und Possenspiel, wenn es die Herzen der Menschen für Gott öffnet?»
Sie wollte etwas erwidern, doch die Worte blieben ihr im Hals stecken. In diesem Augenblick vernahm sie Hufgetrappel, das rasch lauter wurde. Ihre Rettung – ein Pferd kam in ihre Richtung galoppiert! Vielleicht ein Zöllner auf Streife? Ein Edelmann, der vom Blutwunder gehört hatte? Sie beschloss zu schreien, um auf sich aufmerksam zu machen, doch bevor sie auch nur die Lippen öffnen konnte, hatte Blasius ihr schon seine Pranke auf den Mund gepresst.
«Schnell, ein Stück Stoff, nun mach schon!»
Cyprian reichte ihm einen Streifen schmutzigen Tuchs, das Blasius ihr in den Mund stopfte. Draußen begann das Pferd zu wiehern. Sie würgte und bekam kaum noch Luft, glaubte schon, ihre letzte Stunde sei gekommen, in dieser dreckigen Hütte, mit diesem dreckigen Stück Stoff im Mund, als sie es endlich schaffte, halbwegs durch die Nase zu atmen. Da verhallte das Hufgetrappel in Richtung Waldrand, und ihre letzte Hoffnung schwand. Wie sollte sie diesen Irren am Reden halten, wo sie ab jetzt zum Schweigen verdammt war?
Doch da war er wieder, dieser unbändige Lebenswille. Nein, ihre Zeit war noch nicht gekommen, viel zu jung fühlte sie sich zum Sterben.
In ihrer Verzweiflung stieß sie ein Grunzen aus, als ob sie etwas sagen wollte, und starrte Blasius fragend an. Hatte sie doch erkannt, wie liebend gern dieser Mensch sich reden hörte.
Und welch ein Wunder – sie hatte Erfolg!
«Ja, ja, ich gebe zu, dass das Ganze nicht allein mein Einfall war. Jetzt kann ich es dir ja verraten, du schönes Kind, da deine Sanduhr ohnehin bald abgelaufen ist. Sigmund Nidank, mein bester Freund aus Jünglingszeiten, kam auf mich zu, als er letzten Jahres die Pflegschaft über Sankt Peter und Paul übertragen bekam. Da sei doch was draus zu machen, mit diesem Einsiedler und der einsamen Kapelle, hatte er gemeint. Etwas ganz Großes, wie einstmals bei der Madonnenfigur droben am Feldberg, die jeden Freitag Blut geweint hatte. So etwas bräuchte man auch hier bei uns, und es
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