Das Attentat
steckte es Anton in die Brusttasche. Schweigend gab er ihm die Hand, nickte Saskia zu und ging in die Gaststätte.
Am Rande des Bürgersteigs versuchte Jaap, sein Moped zu starten. Als der Motor ansprang, kam gerade der Minister mit de Graaff aus der Gaststätte. Der Chauffeur nahm seine Mütze ab und öffnete die Wagentür. Aber der Minister ging erst zu Jaap und gab ihm die Hand.
»Auf Wiedersehen, Jaap.«
»Ja«, antwortete Jaap. »Also, bis zum nächsten Mal.«
4
Sandra wollte unbedingt zu Opa und Oma ins Auto, die beiden Wagen fuhren hintereinanderher über Nebenstraßen zu dem verabredeten Restaurant, das Anton kannte. Er hätte nun ungestört mit Saskia darüber sprechen können, was passiert war, aber er tat es nicht. Er saß hinter dem Lenkrad und schwieg, und sie hatte zu Hause gelernt, daß sie bei Menschen, die aus dem Krieg zurückgekehrt waren, ebenfalls zu schweigen hatte. Sie fragte nur, ob das mit Takes so etwas wie eine Versöhnungsszene gewesen sei, und er antwortete: »So ungefähr«, obwohl das nicht stimmte. Mit einem Gefühl, als hätte er zu lange im heißen Bad gesessen, starrte er auf die Straße. Er versuchte, über das Gespräch nachzudenken, aber er wußte nicht, wie er das anstellen sollte; es kam ihm so vor, als gäbe es immer noch nichts, um darüber nachzudenken. Als er sich an den Zettel erinnerte, den Takes ihm in die Brusttasche gesteckt hatte, zog er ihn heraus und entfaltete ihn mit einer Hand: eine Adresse und eine Telefonnummer.
»Wirst du ihn besuchen?« fragte Saskia.
Er steckte den Zettel wieder in die Tasche und strich sich das Haar zurück.
»Ich glaube nicht«, sagte er.
»Aber du wirfst ihn auch nicht weg.«
Lächelnd sah er sie kurz an.
»Das nicht, nein.«
Das Restaurant, das sie nach etwa zehn Minuten Fahrt erreichten, war von gediegener, provinzieller Eleganz. In den Räumen des umgebauten Bauernhauses war es dunkel und leer; gegessen wurde im Schatten des Obstgartens, wo Ober im Frack bedienten.
»Ich will Pommes!« rief Sandra, als sie aus dem Auto der Großeltern kletterte und auf Saskia und Anton zugelaufen kam.
»Pommes«, wiederholte Frau de Graaff wieder in einem Ton, als müßte sie sich gleich übergeben, »das finde ich ordinär… « Und zu Saskia: »Kannst du dem Kind nicht beibringen, daß das Zeug Pommes frites heißt?«
»Laß das arme Ding doch Pommes essen, wenn es keine Pommes frites mag«, sagte de Graaff.
»Ich will Pommes.«
»Du kriegst Pommes«, sagte de Graaff und legte ihr die Hand wie einen Helm auf den Haarschopf. »Mit Rührei. Oder möchtest du lieber scrambled eggs?«
»Nein, Rührei.«
»Sag mal, Papa«, sagte Saskia, »muß das sein?«
De Graaff setzte sich ans Kopfende eines Tisches und legte seine Hände wieder mit durchgedrückten Armen auf die Tischkante. Als der Ober ihm die Speisekarten reichen wollte, schob er sie mit dem Handrücken zur Seite.
»Der Mann einen Fisch. Einmal Pommes mit Rührei für das Fräulein. Und einen Chablis in einem Kühler, der an der Außenseite beschlagen ist. Wenn ich Sie in Ihrer Aufmachung sehe, wird es mir noch besser schmecken.« Er mußte einen Augenblick warten, bis seine Frau einen kurzen Lachanfall überwunden hatte, und breitete die Serviette über den Schoß. »Ihr kennt doch die Anekdote von Dickens? Der gab am Weihnachtsabend für seine Freunde immer ein Diner. Das Kaminfeuer wurde geschürt, die Kerzen wurden angesteckt, und wenn sie dann über der Gans saßen, hörten sie draußen unter dem Fenster im Schnee einen einsamen Landstreicher trappeln und sich mit den Armen warmschlagen, wobei er alle paar Minuten rief: Hu, was ist das kalt! Dickens hatte ihn engagiert, um den Kontrast deutlicher zu machen.«
Lachend sah er Anton an, der ihm gegenübersaß. Mit seiner Ausgelassenheit wollte er Anton helfen, als er aber den Ausdruck in dessen Augen sah, erstarb sein Lachen. Er legte die Serviette neben den Teller, machte eine Kopfbewegung und erhob sich. Anton stand ebenfalls auf und folgte ihm. Als auch Sandra von ihrem Stuhl klettern wollte, sagte Frau de Graaff:
»Du bleibst sitzen.«
An einem Graben, der voll mit Entengrütze war und den Hof von den Weiden trennte, blieben sie stehen.
»Wie geht's denn so, Anton?«
»Ich komme schon zurecht, Vater.«
»So ein verdammter Idiot, dieser Gijs. Der allergrößte Tolpatsch. Im Krieg ist er gefoltert worden, da hat er kein Wort gesagt – und jetzt kann er den Mund nicht halten. Wie ist das in Himmels Namen nur möglich,
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