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Das Attentat

Das Attentat

Titel: Das Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
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daß ausgerechnet du neben ihm sitzen mußtest!«
    »Und das in gewisser Hinsicht zum zweiten Mal«, sagte Anton.
    De Graaff sah ihn fragend an.
    »Ja, auch das noch«, sagte er, als er begriff.
    »Und genau darum paßt es zusammen. Ich meine… es hebt sich auf.«
    »Es hebt sich auf«, wiederholte de Graaff nickend. »Soso. Tja«, sagte er mit einer Gebärde, »du sprichst in Rätseln, aber das wird wohl so deine Art sein, mit den Dingen ins reine zu kommen.«
    Anton lachte.
    »Ich weiß selbst nicht so genau, was ich damit meine.«
    »Ja, wer soll es denn dann wissen? Aber naja, die Hauptsache ist, daß du es in der Hand hast. Vielleicht ist das sogar ein Glück für dich, was heute mittag passiert ist. Wir haben das alles vor uns hergeschoben, aber jetzt kommen die Probleme. Das hör ich von allen Seiten. Die Inkubationszeit für unsere Krankheit scheint ungefähr zwanzig Jahre zu sein. Und die Vorgänge in Amsterdam haben meiner Meinung nach auch etwas damit zu tun.«
    »Du machst aber nicht den Eindruck, als würde dich irgend etwas sonderlich bedrücken.«
    »Ja…«, sagte de Graaff und versuchte, mit der Spitze seines schwarzen Schuhs einen Stein loszutreten, der von Gras und Unkraut in der Erde festgehalten wurde, »ja…« Als sich der Stein nicht löste, sah er Anton an und nickte. »Wir sollten wieder zum Tisch gehen. Ist wohl das beste, was meinst du?«
    Nachdem Herr und Frau de Graaff Richtung Gelderland abgefahren waren, gingen Saskia und Anton nacheinander zur Toilette und kamen in Sommerkleidung wieder heraus. Nach dieser Metamorphose fuhren sie nach Wijk aan Zee.
    Am Ende des schmalen Weges durch die Dünen, in denen hier und da noch Bunker des ehemaligen Atlantikwalls standen, lag die See, gezähmt und glatt bis an den Horizont. Da es ein normaler Schultag war, war der Strand hauptsächlich von Müttern mit kleinen Kindern bevölkert. Auf bloßen Füßen liefen sie durch den heißen Sand und über die am Rande der Flutgrenze liegenden trockenen, scharfen Muscheln zu den letzten Ausläufern des ablaufenden Wassers. Erst dort wurde es plötzlich etwas kühler. Saskia und Sandra zogen sofort ihre Kleider aus und rannten in den lauwarmen Tümpel vor der ersten Sandbank, während Anton ihren Liegeplatz herrichtete, Handtücher ausbreitete, unter eines einen Kriminalroman schob, die Kleider zusammenlegte, Eimer und Schaufel bereitstellte und seine Armbanduhr in Saskias Handtasche steckte. Danach ging er langsam ins Wasser.
    Hinter der zweiten Sandbank, wo er keinen Grund mehr unter den Füßen hatte, wurde es richtig kühl, aber es war eine seltsame, unangenehme Kühle, die ihn nicht erfrischte, es war die Ausstrahlung einer kalten, tödlichen Tiefe, die in ihn eindrang. Obwohl er noch keine zweihundert Meter vom Strand entfernt war, gehörte er schon nicht mehr zum Festland. Die Küste war still geworden und dehnte sich nach links und rechts wie etwas Fernes, Fremdes: Dünen, ein Leuchtturm, niedrige Gebäude mit hohen Antennen. Er fühlte sich plötzlich müde und allein, sein Unterkiefer begann zu klappern, er schwamm, so schnell er konnte, zurück, als müßte er einer Drohung entkommen, die hinter dem Horizont lauerte. Das Wasser wurde allmählich wärmer, und sobald er Boden unter den Füßen fühlte, watete er ans Ufer. Bei Saskia und Sandra war das Wasser so warm wie in einer Badewanne. Auf dem harten, welligen Sand legte er sich auf den Rücken, breitete die Arme aus und seufzte tief.
    »Da draußen ist es kalt«, sagte er.
    Als er wieder auf dem Strand war, zog er sein Handtuch ein paar Meter zurück auf den heißen, weißen Sand.
    Saskia kam und setzte sich neben ihn, und gemeinsam schauten sie Sandra zu, die aus angemessener Entfernung ein etwa gleichaltriges Mädchen beobachtete, das eine Sandburg baute. Nach kurzer Zeit fing sie an, schweigend mitzubauen, aber das Mädchen tat so, als bemerkte es sie nicht.
    »Wie fühlst du dich?« fragte Saskia.
    Er legte ihr einen Arm um die Schulter.
    »Gut.«
    »Mach dich doch frei davon.«
    »Ich hab mich frei gemacht.« Er legte sich auf den Bauch. »Die Sonne tut mir gut.« Er legte den Kopf in die Armbeuge und schloß die Augen. Er zitterte leicht und spürte zuerst einen kribbelnden Strahl über den Rücken und die Hüfte laufen und dann Saskias Hände, die ihn einölten…
    Als er einen Moment später mit einem Ruck den Kopf hob, merkte er, daß er kurz eingenickt sein mußte. Er setzte sich wieder hin und schaute Saskia zu, die auf den Knien

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