Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Attentat

Das Attentat

Titel: Das Attentat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Mulisch
Vom Netzwerk:
wo er eigentlich nichts verloren hatte.
    Er fühlte Takes' Hand auf seiner Schulter.
    »Was ist denn jetzt los?«
    Er nahm die Hände vom Gesicht, seine Augen waren trocken.
    »Wie ist sie gestorben?« fragte er.
    »Drei Wochen vor der Befreiung ist sie in den Dünen exekutiert worden. Sie liegt dort auf dem Ehrenfriedhof. Warum, in Himmels Namen, geht dir das denn so zu Herzen?«
    »Weil ich sie kenne«, sagte Anton leise. »Weil ich mit ihr gesprochen habe. Ich saß in dieser Nacht bei ihr in der Zelle.« Ungläubig sah Takes ihn an.
    »Woher weißt du, daß sie es war? Wie heißt sie denn? Sie hat doch bestimmt nicht gesagt, wie sie heißt.«
    »Nein, aber ich weiß es genau.«
    »Hat sie etwa gesagt, daß sie in das Attentat verwickelt war?«
    Anton schüttelte den Kopf.
    »Nein, auch nicht, aber ich weiß es genau.«
    »Woher denn, bitte sehr!« sagte Takes wütend. »Wie sah sie aus?«
    »Das weiß ich nicht, es war stockdunkel.«
    Takes dachte kurz nach.
    »Würdest du sie erkennen, wenn du ein Foto von ihr siehst?«
    »Ich habe sie nicht gesehen, Takes. Aber… ich möchte gern ein Foto von ihr sehen.«
    »Was sagte sie denn? Du mußt doch etwas wissen!«
    Anton hob die Arme.
    »Ich wünschte, ich wüßte es. Es ist so lange her… Sie war verletzt.«
    »Wo?«
    »Weiß ich nicht.«
    Takes' Augen wurden feucht.
    »Sie muß es gewesen sein«, sagte er. »Wenn sie auch nicht gesagt hat, wer sie war… Ploeg hat sie im letzten Moment noch angeschossen, als wir schon fast um die Ecke waren.«
    Als Anton Takes' Tränen sah, mußte auch er weinen.
    »Wie hieß sie?« fragte er.
    »Truus. Truus Coster.«
    Die Leute am Grab schauten aus den Augenwinkeln alle nur noch zu ihnen herüber. Vielleicht wunderten sie sich darüber, daß zwei erwachsene Männer sich in ihrer Trauer um einen gestorbenen Freund so gehenlassen konnten. Vielleicht waren es nur Heuchler…
    »Oh, da sind sie ja, die Narren!«
    Die Stimme seiner Schwiegermutter. Mit Saskia und Sandra im Schlepptau kam sie durchs Tor: zwei schwarze Gestalten auf dem blendenden Kies und ein Kind in Weiß. Sandra rief: »Papa!«, ließ ihre Puppe fallen und lief auf Anton zu, der aufstand, sich bückte, sie auffing und in die Arme nahm. Aus den großen Augen, mit denen Saskia ihn ansah, las er, daß sie sich Sorgen gemacht hatte. Beruhigend nickte er ihr zu. Aber ihre Mutter, die sich auf einen glänzenden schwarzen Stock mit silbernem Knauf stützte, gab sich nicht so schnell zufrieden. »Aber ja, heult ihr hier ein bißchen?« fragte sie ärgerlich – woraufhin Sandra ihm mit einem Ruck ihres Kopfes ins Gesicht sah. Frau de Graaff gab einen Laut von sich, als müßte sie sich übergeben. »Mir wird schlecht, wenn ich euch sehe. Könnt ihr denn nie mit dem verdammten Krieg aufhören? Fängst du an, jetzt auch noch meinen Schwiegersohn damit zu quälen, Gijs? Ja, ja, natürlich wieder du.« Sie lachte seltsam höhnisch auf, wobei ihre großen Wangen bebten. »Das gefällt mir überhaupt nicht, wie ihr da steht, wie zwei ertappte Nekrophile. Und das auch noch auf dem Friedhof! Damit ist jetzt aber Schluß. Kommt beide mit!«
    Sie drehte sich um und ging zurück, zeigte kurz mit dem Stock auf die Puppe im Kies und zweifelte nicht einen Moment daran, daß ihr gehorcht würde. Und so war es auch.
    »Man sollte es nicht für möglich halten«, sagte Takes, ebenfalls mit einem seltsamen Lachen, das vermuten ließ, daß er schon früher mit Frau de Graaff zu tun gehabt hatte. Als Anton ihn ansah, sagte er: »Königin Wilhelmina.«
    Während Sandra erzählte, daß sie mit Mama im Haus des toten Onkels gewesen sei und dort zwei Glas Orangensaft bekommen habe, gingen sie zurück zum Platz. Vor der Gaststätte, die sich nun leerte, wartete das Auto mit dem Stander, an der hinteren Wagentür stand der Chauffeur. Anton wurde mit musternden Blicken empfangen, aber von niemandem behelligt. Sandra ging mit ihrer Großmutter in die Gaststätte, um de Graaff zu holen. Saskia hielt die Puppe in der Hand und sagte, Sandra müsse unbedingt etwas essen, sie habe ihrer Mutter vorgeschlagen, irgendwo außerhalb ein Restaurant aufzusuchen.
    »Bleib mal einen Moment stehn«, sagte Takes.
    Anton blieb stehen und fühlte, daß Takes auf seinem Rücken irgend etwas aufschrieb. Dabei sah ihn Saskia wieder mit dem gleichen Blick an wie vorhin; er schloß kurz die Augen und gab ihr damit zu verstehen, daß alles in Ordnung sei. Takes riß ein Blatt aus seinem Notizblock, faltete es zusammen und

Weitere Kostenlose Bücher