Das Auge Aldurs 3 - Der Riva Kodes
Ein Pferd kann sehr schnell rennen, ermüdet aber auch rasch und ist nicht sehr klug. Eine Antilope ist in der Lage, über Tage hinweg zu laufen, doch auch sie ist ein dummes Geschöpf, das außerdem von zu vielen Raubtieren als Futter betrachtet wird. Und mir fehlte die Zeit, es jedem schmackhaft zu machen, sich sein Essen anderswo zu suchen. Dann wurde mir bewußt, daß von allen Tieren der Ebene und des Waldes der Wolf das klügste, schnellste und ausdauerndste war.
Es war eine gute Entscheidung. Bald gewöhnte ich mich daran, auf allen vieren zu laufen. Ich empfand die Gestalt des Wolfes als höchst zufriedenstellend, und sein Verstand war dem meinem verwandt. Nach kurzer Zeit stellte ich fest, daß es eine feine Sache war, einen Schwanz zu haben. Er eignet sich vorzüglich, das Gleichgewicht zu halten, und man kann sich des Nachts als Schutz gegen die Kälte außerordentlich gut darin einkuscheln. Ich wurde auf der Suche nach Belar und seinem Volk sehr stolz auf meinen Schwanz. Eine junge Wölfin, die ausgelassen herumtollte, hielt mich auf. Sie hatte, soweit ich mich erinnere, wohlgeformte Lenden und eine anmutige Schnauze.
»Warum die Eile, Freund?« fragte sie scheu nach Wolfsart. Selbst in meiner Hast war ich überrascht, daß ich sie so deutlich verstehen konnte. Ich blieb stehen.
»Was für einen wunderschönen Schwanz du hast«, bewunderte sie mich, und als sie bemerkte, auf welch fruchtbaren Boden ihr Kompliment gefallen war, beeilte sie sich hinzuzufügen: »und wunderbar feste Zähne.«
»Danke«, erwiderte ich bescheiden. »Dein Schwanz kann sich auch sehen lassen, und dein Fell glänzt herrlich.«
»Meinst du das ehrlich?« fragte sie und putzte sich. Dann zwickte sie mich in die Flanke und sprang ein paar Sätze fort von mir, auf daß ich ihr nachjagte.
»Ich würde gern ein wenig bleiben, damit wir uns näher kennenlernen«, versicherte ich ihr, »aber ich habe einen äußerst dringenden Auftrag.«
»Einen Auftrag?« Sie lachte. »Wer hat je von einem Wolf gehört, der einen Auftrag zu erledigen hat und nicht nur seinen eigenen Wünschen folgt?«
»Ich bin kein richtiger Wolf«, erklärte ich ihr.
»Ach nein?« sagte sie. »Wie seltsam. Du siehst aus wie ein Wolf, du sprichst wie ein Wolf, und du riechst auch ganz gewiß wie ein Wolf, aber du sagst, du wärst keiner. Was bist du denn?« »Ich bin ein Mensch«, antwortete ich.
Sie setzte sich und schaute überrascht drein. Sie mußte mir glauben, denn Wölfe können nicht lügen. »Du hast einen Schwanz«, meinte sie, »und ich habe noch nie zuvor einen Menschen mit einem Schwanz gesehen. Du hast ein schönes Fell. Du hast vier Pfoten. Du hast lange, spitze Zähne, scharfe Ohren und eine schwarze Nase, und doch sagst du, du wärest ein Mensch.« »Das ist sehr kompliziert.«
»Das muß es wohl sein«, murmelte sie. »Ich denke, ich werde eine Weile mit dir laufen, da du diesen Auftrag erledigen mußt. Vielleicht können wir unterwegs miteinander reden, und du kannst mir diese Sache genauer erklären.«
»Wenn du willst.« Ich mochte sie und freute mich über ihre Gesellschaft. »Allerdings muß ich dich warnen – ich laufe sehr schnell.«
Sie rümpfte die Nase. »Alle Wölfe laufen schnell.«
Und so rannten wir Seite an Seite über das endlose Grasland auf der Suche nach dem Gott Belar.
»Hast du vor, Tag und Nacht zu laufen?« fragte sie mich, nachdem
wir einige Meilen zurückgelegt hatten.
»Ich werde rasten, wenn es nötig ist.«
»Da bin ich froh.« Dann lachte sie nach Art der Wölfe, zwickte mich in die Schulter und jagte davon.
Und ich dachte über die moralische Seite meiner Situation nach. Obwohl meine Gefährtin mir in meiner derzeitigen Gestalt sehr gut gefiel, war ich mir doch sicher, daß sie an Reiz verlieren würde, wenn ich sie mit menschlichen Augen betrachtete. Abgesehen davon war es gewiß eine ehrenvolle Sache, Vater zu werden. Doch wenn ich erst zu meinem Meister zurückgekehrt war, wäre mir ein Wurf Wolfswelpen gewiß peinlich. Ganz zu schweigen davon, daß die Welpen keine reinrassigen Wölfe wären, und ich wollte nicht Stammvater einer Rasse von Monstren sein. Wölfe suchen sich ihren Partner für das ganze Leben, und wenn ich die Wölfin verließ – was ich unweigerlich irgendwann tun mußte – wäre sie wirklich allein, allein mit einem Wurf vaterloser Welpen, und die anderen Wölfe ihres Rudels würden mit Verachtung auf sie hinabblicken, denn für Wölfe sind Vernunft und Anstand äußerst
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