Das Auge Aldurs 3 - Der Riva Kodes
betrachtet die Menschheit, die an ihrem Anfang steht. Alles Lebende muß wachsen, oder es stirbt. Durch diesen Stein wird die Welt sich verändern, und die Menschheit wird erreichen, wozu sie geschaffen wurde. Dieses Juwel in sich selbst ist nicht böse. Das Böse besteht nur in den Gedanken und in den Herzen der Menschen – und der Götter.« Dann schwieg mein Meister und seufzte. Wir zogen uns zurück und überließen ihn seiner Traurigkeit.
In den darauf folgenden Jahren sahen wir wenig von unserem Meister. Er blieb alleine in seinem Turm und sprach mit dem Geist des von ihm erschaffenen Juwels. Es stimmte uns traurig, daß er nicht bei uns war, und wir hatten wenig Freude an unserer Arbeit. Eines Tages kam ein Fremder ins Tal. Er war schöner als jedes Wesen, das ich je gesehen hatte, und viel schöner, als jeder Mensch sein konnte. Und er schritt dahin, als schmähten seine Füße den Boden, auf dem sie gingen.
Wie es Brauch war, liefen wir auf ihn zu und begrüßten ihn.
»Ich möchte mit eurem Meister sprechen, meinem Bruder Aldur«, sagte er uns. Da wußten wir, daß wir einen Gott vor uns hatten. Als der älteste trat ich vor. »Ich werde meinem Meister melden, daß Ihr gekommen seid«, sagte ich höflich. Ich wußte nicht, welcher Gott er war, aber irgend etwas an diesem zu gut aussehenden Fremden ging mir gegen den Strich.
»Das ist nicht nötig, Belgarath«, entgegnete er in einem Tonfall, der mich noch mehr verwunderte als sein Auftreten. »Mein Bruder weiß von meiner Anwesenheit. Bringe mich zu seinem Turm.« Ich drehte mich um und führte ihn, ohne es zu wagen, weiter zu ihm zu sprechen.
Als wir den Turm erreicht hatten, sah mir der Fremde direkt ins Gesicht. »Ein Rat an dich, Belgarath«, sagte er, »um dir für deinen Dienst zu danken. Bleib auf der Ebene, die deinesgleichen geziemt. Es steht dir nicht zu, über mich zu urteilen. Ich hoffe zu deinem Besten, daß du dich meines Rates entsinnst und dich geziemender verhältst, wenn wir uns wieder begegnen.« Seine Augen schienen sich in die meinen zu bohren, und seine Stimme ließ mich frösteln. Aber weil ich immer noch war, der ich nun einmal war, und nicht einmal die zweitausend Jahre und mehr, die ich im Tal verbracht hatte, den wilden, rebellischen Jungen in mir zur Ruhe hatten bringen können, antwortete ich ein wenig bissig. »Ich danke Euch für den Rat«, sagte ich. »Wünscht Ihr noch etwas?« Er war schließlich ein Gott; warum also sollte ich ihm verraten, wo die Tür war, oder wie man sie öffnete. Ich wartete und hoffte auf ein Zeichen von Verwirrung seinerseits.
»Du bist unverschämt, Belgarath«, tadelte er mich. »Eines Tages werde ich dich mit Vergnügen in angemessenem Benehmen unterrichten.«
»Ich bin stets bereit zu lernen«, erwiderte ich.
Er drehte sich um, vollführte gleichmütig eine Geste, und der große Stein in der Turmwand öffnete sich. Dann ging er hinein. Wir erfuhren nie, was im einzelnen zwischen unserem Meister und dem fremden, wunderschönen Gott vorgefallen war. Sie unterhielten sich stundenlang, doch ein gewaltiges Gewitter brach über unseren Köpfen aus, und wir mußten Unterschlupf suchen. Da verpaßten wir die Abreise des seltsamen Gottes.
Als das Gewitter zu Ende war, rief unser Meister uns zu sich, und wir begaben uns in seinen Turm. Er saß an dem Tisch, an dem er sich so lange mit dem Juwel beschäftigt hatte. Große Traurigkeit spiegelte sich in seinem Gesicht, und mein Herz weinte, als ich es bemerkte. Auf seiner Wange sah ich ein gerötetes Mal, das ich nicht deuten konnte.
Belzedar jedoch verstand fast augenblicklich. »Meister!« stieß er mit Erschrecken in der Stimme hervor. »Wo ist der Stein? Wo ist das mächtige Juwel, das Ihr geschaffen habt?«
»Mein Bruder Torak hat es mit sich genommen«, erwiderte mein Meister, und seine Stimme klang beinahe so, als schwinge ein Weinen darin.
»Rasch!« rief Belzedar. »Wir müssen Torak verfolgen und das Juwel wieder zurückholen, ehe er uns entkommt! Wir sind viele, und er ist allein!«
»Er ist ein Gott, mein Sohn«, sagte Aldur. »Wie viele ihr seid, ist ohne Bedeutung für ihn.«
»Aber, Meister«, rief Belzedar verzweifelt, »wir müssen uns das Juwel zurückholen!«
»Wie bekam Euer Bruder den Stein von Euch, Meister?« fragte Beltira.
»Ein unbezähmbares Verlangen nach dem Juwel überwältigte Torak«, erklärte Aldur, »und er bedrängte mich, es ihm zu überlassen. Als ich es ihm verweigerte, schlug er mich, nahm den Stein und
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