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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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schwarzen Gebirges einzusaugen. Der Wagen schoss um die Kurve. Im Licht der Scheinwerfer leuchteten weiße, als Markierung auf den Fels getupfte Farbkleckse auf wie die Gesichter kleiner Gespenster. Außerhalb des Lichtkegels huschte ein Schild vorbei. In der Dunkelheit hielt er das Wegzeichen für ein Tier, das drohte, auf die Fahrbahn zu springen, und er führte eine abrupte Lenkbewegung aus. Durch den Ruck aufgescheucht, öffnete sie die Augen.
Sie entdeckten es beide gleichzeitig. Ein schmutzig weißer Fleck, in der Höhe schwebend wie ein Raubvogel über seiner Beute. Er fühlte ein Kribbeln im Nacken und nahm instinktiv den Fuß vom Gaspedal. Der Fleck vergrößerte sich, nahm Konturen an. Arme, Beine, ein schlanker Körper, umschlottert von einem knöchellangen Nachtkleid. Es war eine Frau. Und sie fiel! Sie stürzte vom Himmel! Fuhr direkt auf sie hinunter. Für einen furchtbaren Moment hing die Gestalt über der Motorhaube, den Mund geöffnet, hohlwangig, die Arme ausgestreckt wie Flügel. Irre Augen aus dunklen Höhlen glotzten ihn an. Heftig stieg er in die Bremse.
    Die Hände um das Lenkrad geklammert katapultierte sich Leonard
    aus diesem Albtraum und knallte mit dem Kopf gegen das Wagendach. Japsend suchte er sich seinen Weg in den Wachzustand. Wann die widerliche Vision das erste Mal über ihn hergefallen war, hatte er längst vergessen. Auch, wie oft schon. Manchmal quälte ihn die Fahrt durch das grauenhafte Gebirge an drei oder vier Tagen innerhalb einer Woche. Dann wieder hatte er monatelang Ruhe. Aber wie jetzt brauchte er immer eine volle Minute, um sich zu vergewissern, wo er sich befand.
... Abend, in der Thomson Road ...
Doktor Pathom. Drei Stunden wartete Leonard bereits. Stunden, in denen jedes Leben aus der Straße gewichen war. Unten in Downtown Singapur fing die Nacht erst an, selbst Little India zeigte sich hell erleuchtet und voller Trubel. Hier, ein gutes Stück nördlich seines düsteren Hotels, verbreitete die Stadt die Atmosphäre eines Waldfriedhofs um Mitternacht. Nur das Südende der Thomson Road rahmten mehrstöckige Wohnblocks ein. Dahinter verteilten sich niedrige Häuser, bis sich das einsame Band der Straße, spärlich beleuchtet, im Dunkel der Nacht verlor. Das matte Licht der Straßenlaternen fiel auf geduckte Bäume, jenseits davon dehnten sich schwarze Flächen aus. In der trostlosen Stille wähnte Leonard dort menschenleere Parks. Er fragte sich, was Dr. Pathom dazu gebracht hatte, diese öde Straße zu wählen. Noch dazu in der Nacht.
... der andere Treffpunkt ist nicht mehr sicher ...
Leonard hatte mit dem Mietwagen beachtliche Umwege in Kauf genommen, bis er überzeugt war, dass ihn niemand verfolgte. Trotzdem brannten ihm Oren Kavenays Bernsteinaugen im Nacken. Er schüttete sich Wasser aus einer Flasche ins Gesicht, schluckte den faden Geschmack hinunter, den der Albtraum hinterlassen hatte. Sich außerhalb der Lichtkegel haltend war er die Straße mehrmals bis zu den schwarzen Flächen abgelaufen. Er beschloss, einen weiteren Versuch zu unternehmen und stieg aus dem Wagen.
... in der Thomson Road, vor dem ...?
Die Telefonleitung mit ihrem sonderbaren Eigenleben hatte verhindert, Doktor Pathom genauere Angaben zum Treffpunkt zu entlocken.
Vor dem ... was?, dachte er. Eingang des Parks? Denkmal? Haus? Erneut kein markanter Punkt auszumachen. Einmal vermeinte er, ein helles Gewand aufblitzen zu sehen, das geisterhaft zwischen zwei Bäumen hindurchhuschte. Leonard vernahm ein leises Geräusch, fand zunächst nicht heraus, aus welcher Richtung es stammte. Dann zeichnete sich eine Kontur ab, am nördlichsten, noch einsehbaren Punkt der Straße, an der Grenze zur Finsternis dahinter. Sie entfernte sich rasch aus dem Lichtkreis einer Laterne und auch Leonard drückte sich in den Schatten. Am Telefon hatte Dr. Pathom nervös geklungen, er fürchtete sich. Der Mann würde fliehen, wenn sich ihm ein Fremder näherte. Leonard tastete sich bis zu der Stelle vor, wo er den Doktor vermutete. Es knirschte laut unter seinen Füßen. Er war in einen Miniaturschrein getreten. Eine Porzellanvase, ein schmales Brettchen mit chinesischen Zeichen darauf, Blumen und Räucherstäbchen.
Wer zum Donnerwetter stellt so was hier hin?, fragte er sich stumm.
Hektisch sah er zur Laterne hin, wo die Kontur verschwunden war, drei Meter von ihm entfernt.
„Evan?“, drang es leise von dort herüber.
Leonard sprang vor. Dem Mann blieb keine Zeit, zu reagieren. Mit beiden Händen packte

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